Facebook Newswire: Das neue Nachrichten-Medium?

Facebook NewswireEigentlich ist das, was Facebook mit seinem „Facebook Newswire“ gerade macht, einfach nur konsequent: Inhalte mit Nachrichtenwert, die „sowieso“ von Nutzern auf der Seite gepostet werden, bekommen über diesen Weg den Zugang zu einem wesentlich größeren Publikum. „Kleiner“ Nebeneffekt: Es ist ein weiterer Nagel im Sarg von Nachrichtenmedien. Und das hat folgende Gründe:

  1. Durch die schiere Masse seiner User und die schiere Größenordung seiner Verbreitung hat Facebook fast automatisch Zugriff auf alle Inhalte, die potenziellen Nachrichtenwert haben.
  2. Die immer weiter fortschreitende mobile Nutzung des Dienstes sorgt zusätzlich dafür, dass von so gut wie allen Ereignissen Bilder oder Videos vorhanden sind
  3. Die ausgefeilten Mechanismen zur Einschätzung des User-Interesses in Verbinung mit dem Aufenthaltsort des Users sowie seiner im Profil hinterlegten Interessen erlauben eine genaue Steuerung im Hinblick darauf, wer welche „Nachrichten“ zu sehen bekommt.
  4. Die Möglichkeit, die Beiträge zu liken, zu teilen und sie einzubetten sorgt für weiter verbesserte Filter und nochmal zusätzliche Verbreitung.
  5. Facebook holt seine User dort ab, wo sie eh schon sind – nämlich auf Facebook. Im Unterschied zu den Beiträgen „echter“ Nachrichten-Sites wie z. B. Spiegel online muß ich nirgends mehr klicken  und auf keine andere Seite mehr gehen.

Interessant finde ich auch (s. Beispiel), dass Facebook für den neuen Dienst offenbar ein Team im Einsatz hat, dass sich bemüht, den „Roh-Content“, in meinem Beispielfall das Video aus der Überwachungskamera, quasi noch nachrichtentechnisch zu „veredeln“, indem man in den Beitrag die Facts zum jeweiligen Ereignis hineinschreibt. In meinem Beispiel ist das etwa die Zahl der Opfer sowie die Quelle, von der die Opferzahl kommt. Das ist – leider, aus Sicht der klassischen Medien – schon ziemlich gut gemacht und man wird sich als Spiegel Online oder ähnliches Medium dringend eine Strategie dagegen überlegen müssen.

 

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Was Big Data, Wearables und Quantified Self miteinander zu tun haben

Es tut sich derzeit wieder ein neuer Trend auf, der mittel- und sogar kurzfristig großen Einfluss auf unser aller Leben und damit auch auf die Politik gewinnen wird: Der Zusammenhang zwischen Big Data, Wearable Computing und QS (“Quantified Self”). In den USA und teilweise auch in den Europa gibt es eine wachsende Anzahl von Leuten, die ihre gesamten Lebensdaten mitloggen. Also etwa: Den Aufenthaltsort, die momentane Stimmung, den Ausblick aus dem Bürofenster – aber auch solche Sachen wie: Was habe ich heute gegessen? Wieviele Kalorien hatte das? Wieviele davon habe ich wieder abgebaut (und diesen Abbau mit meinem Nike Fuelband gemessen)?

Und das ist noch längst nicht alles. Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass die Art, wie jemand auf seiner Computertastatur tippt, eine Demenz-Diagnose stellen kann. Eine Analyse mehrerer Millionen Tweets hat ergeben, dass sich damit eine Grippewelle akkurater vorhersagen lässt, als es etwa das “Center for Disease Control” (CDC) oder Google können.

Das alles wird Realität, weil immer mehr Geräte auf immer einfachere Art immer mehr Daten liefern. Wer heute alle Möglichkeiten nutzt, der erzeugt eine Datenmenge von 1,8 Millionen Megabyte pro Jahr (oder neun komplette CD-ROMs jeden Tag). Eine normal ausgestattete Boeing 777 hat so viele Sensoren an Bord, dass während eines nur dreistündigen Fluges ein Terabyte Daten gesammelt werden – das entspricht der Textmenge sämtlicher Bücher in der Washingtoner “Library of Congress”. Und es kommt noch wilder: Herzschrittmacher sprechen mit dem WLAN. Ich selbst habe seit kurzem einen „Narrative Clip“, ein kleines Plastik-Ansteckerchen, das automatisch alle 30 Sekunden ein Foto macht, mit GPS-Koordinaten versieht und dann in die Cloud hochlädt. Mein Freund Matthias liebäugelt mit einer Google-Brille – er wird sich sicher eine kaufen, wenn sie in Deutschland erhältlich und vielleicht nicht mehr ganz so teuer ist. Immer mehr Leute haben also immer mehr vernetzte Gadgets. Schon seit 2008 gibt es mehr Geräte, die mit dem Internet verbunden sind, als Menschen auf der Welt wohnen.

Die Chancen sind gigantisch, die Risiken enorm: Mithilfe großer Datenströme lassen sich Dinge anstellen, die wir eigentlich nicht für möglich halten. So hat ein großes Forschungsprojekt bei Microsoft, bei dem die GPS-Daten von einigen tausend Smartphone-Nutzern ausgewertet wurden, ein mathematisches Verfahren ergeben, das schier unglaubliches leistet: Es kann – nur aufgrund der GPS-Daten – mit ca. 80%iger Wahrscheinlichkeit den Aufenthaltsort eines Menschen auf ca. 100 Meter genau voraussagen – und das anderthalb Jahre im Voraus.

Genauso lassen sich aber auch Krankheiten vorhersagen, und damit vielleicht auch verhindern. Ein weiteres Forschungsprojekt hat mehrere Millionen Tweets aus New York daraufhin analysiert, ob darin Informationen über eine Infektionskrankheit (z. B. Grippe) enthalten sind. Der Algorithmus, der als Ergebnis dieser Studie entstanden ist, kann die Ausbreitung einer Infektionskrankheit tatsächlich vorhersagen.

Alle diese Einzel-Phänomene lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Es gibt keinen Ausweg. Viele Menschen denken ja immer noch: „Wenn ich bei Facebook und Googlemail nicht mitmache, kann mir ja nix passieren“ . Aber das ist schlicht falsch. Man denke nur an ein Phänomen namens „Data Leakage“, das fast schon im Alleingang dafür sorgt, dass diese Prämisse falsch ist. Nehmen wir nur mal an, ich selbst mache bei keinerlei Social Network oder ähnlichem mit. Aber mein bester Kumpel registriert sich für WhatsApp. Dann wird automatisch sein Telefonbuch zu WhatsApp hochgeladen – und damit auch meine gesamten Daten, denn ich stehe ja auch in diesem Telefonbuch.

Also: Wir haben definitiv keine Chance mehr, den Datenkraken zu entkommen. Also bleibt nur eines: Wir (und das bedeutet auch: Wir als Gesellschaft) müssen lernen, in der Welt der Daten zu leben und mit ihr klarzukommen. Das heißt: Der Schulunterricht muß sich ändern und diese Dinge berücksichtigen. In den Familien muß die Kompetenz dafür wachsen – das heißt vor allem: Bei den Eltern. Aber auch der Gesetzgeber muß sich besser mit Facebook und Co auskennen, als das heute der Fall ist. Und schließlich braucht man politisch-gesellschaftliche Mechanismen, wie man in einer Welt der Nationalstaaten, die wir ja heute immer noch haben, mit übernationalen Phänomenen wie Facebook und Co. umgehen kann.

Das sind wahrlich alles große Aufgaben. Aber anfangen müssen wir irgendwann.

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Facebook beendet sein E-Mail-Experiment

Es war einer der größten Alpträume jedes Datenschützers, der halbwegs auf sich hielt: Im Jahr 2010 kündigte Mark Zuckerberg an, künftig werde neben „Likes“, „Shares“ und Chats auch noch die E-Mail-Kommunikation über seinen Dienst laufen. Mailadressen der Nomenklatur „xxx@facebook.com“ wurden automatisch jedem User zugeteilt – und irgendwann dann das System so umgestellt, dass die Facebook.com-Mailadresse standardmässig eingestellt war. Dadurch lief jegliche Kommunikation, zumindest die der unbedarften User, fortan über die Plattform.

Doch nun kommt die für viele überraschende Kehrtwende: Wie der Technik-Blog recode.net berichtet, wird die Mailfunktion in Facebook jetzt abgeschaltet. Natürlich geschieht auch das wieder, ohne die Grundregeln der Höflichkeit einzuhalten und z. B. die User vorher darüber zu informieren.

Standardmässig wird nun sämtliche Mail, die jemand an die „@facebook.com“-Mailadresse schickt, an dessen „normale“ Adresse weitergeleitet. Wer will, kann die Weiterleitung auch abschalten – aber dann landen alle Mails im digitalen Orkus, die Absender erhalten eine Fehlermeldung.

Alles in allem ist der Vorfall vielleicht ein kleines Indiz dafür, dass das datenkrakenhafte Verhalten von Facebook (gottseidank) offenbar doch nicht immer zum Ziel führt. Aber auf jeden Fall ist es ein weiterer Beweis für den alten Spruch: Die User sind nicht Facebooks Kunden. Sie sind das Produkt. Service ist also überflüssig.

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Boris gegen Pocher, oder: soziale gegen „alte“ Medien

Leider habe ich es selbst nicht live mitbekommen und mußte es heute nachlesen: Gestern nacht haben sich Boris Becker, Oliver Pocher und (zeitweise) Jörg Kachelmann einen schönen Streit geliefert (Thema: Beckers Ex-Kurzzeitfreundin Sandy Meyer-Wölden, die inzwischen mit Pocher verheiratet ist). Das Interessante daran: Die drei Promis stritten nicht beim Prosecco am Rande irgendeiner Filmpreisverleihung in einer dunklen Ecke unter sich – sie taten es öffentlich auf Twitter.

Damit zeigt sich einmal mehr, wie sehr sich die Welt verändert hat durch die sozialen Medien: Promis brauchen eigentlich keine andere mediale Bühne mehr als diese.

Es gibt allerdings noch einen weiteren (möglichen) Hintergrund für die Geschichte: Becker hat ein Buch geschrieben (oder schreiben lassen), und das möchte er natürlich auch gerne möglichst vielen Leuten verkaufen. Früher mal hätte er dazu in den klassischen Medien auftreten müssen, vom Frühstücksfernsehen bis zur Late-Night-Show. Doch heute sind mehr als 200.000 Follower auf Twitter – wenn nicht genug, so doch eine recht ordentliche Reichweite. Und die erzielt unser Boris ganz alleine, ohne die Hilfe der Medien. Denen bleibt – siehe den oben zitierten Spiegel-Online-Bericht, nur noch eines übrig: Nachplappern, was bereits gesagt ist. Die Berichterstattung ÜBER das, was in den sozialen Medien los ist, wird auf Dauer aber nicht genug sein.

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Die Elefantenrunde und die Social Media

Gestern abend war ja Elefantenrunde, als guter Bürger habe ich interessiert zugehört. Neben der äußerst interessanten Diskussion über die aktuellen Pädophilie-Vorwürfe bei den Grünen (zu denen auch die politischen Gegner meinten, sowas sei kein Wahlkampfthema), bin ich an einer Stelle wirklich aus dem Stuhl gefallen: Da meinte Moderatorin Bettina Schausen, man habe „mal auf Twitter und Facebook die Zuschauer gebeten, Fragen an die Politiker zu stellen.“ Diese Fragen würde man nun im Laufe der Sendung vortragen.

Hallo?

Da hat wirklich mal wieder jemand (vermutlich nicht nur Frau Schausten, sondern auch die Redaktion, die hinter der Sendung steht) überhaupt nichts verstanden. Soziale Medien sind nicht (im Unterschied etwa zu Telefon und Postkarte) reine „Zuführungs-Kanäle“, auf denen der brave Bürger den Massenmedien seine Meinung mitteilt, die diese dann gnädigst verbreiten. Es sind eigene Massenmedien, die aus sich selbst heraus Massenkommunikation ermöglichen.

Oder, etwas weniger hochtrabend formuliert: Wenn ich Jürgen Trittin eine Frage stellen will, muß ich nicht warten, bis Bettina Schausten das (vielleicht) in ihrer Sendung für mich macht. Ich kann zu Twitter gehen (Trittin ist hier sehr aktiv) und entweder öffentlich oder sogar vertraulich via DM („Direct Message“) loswerden, was ich sagen möchte. UND, im Unterschied zum Fernsehen kann Jürgen Trittin dann sogar MIR antworten, es kann sich ein Dialog entwickeln. Und zwar im Unterschied zum klassischen Massenmedium Fernsehen, wo eben nicht ich selber, sondern nur ein Mittler, der deswegen ja auch „Moderator“ heißt, den Dialog stellvertretend führt.

Wenn man das zuende denkt, dann ist natürlich eines klar: In diesem Sinne verstanden, sind die Sozialmedien nicht nur eine,  sondern DIE Konkurrenz zu klassischen Massenmedien, weil sie zumindest die Chance bieten, ein indirektes Kommunikationsmodell durch ein direktes zu ersetzen. Und deshalb kann man wohl auch ruhig darüber nachdenken, ob das die Fernsehleute tatsächlich nicht verstanden haben. Oder ob sie es nur nicht verstehen wollen.

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Der Facebook Graph Search ist da

Facebook Graph SearchNun ist er also da, der lang erwartete „Graph Search“ bei Facebook. Seit heute kann ich auch mit meinem Account auf die neue Funktion zugreifen – es war allerdings notwendig, die Sprache im Account vorher auf „amerikanisches Englisch“ umzustellen. In der deutschen Version von Facebook gibt es den Graph Search noch nicht.

Es gibt zwei Varianten, die neue Funktion zu nutzen: Zum Ersten kann man vordefinierte Suchmuster verwenden, die beim Klick auf das Suchfenster eingeblendet werden. Eine davon ist „Music my Friends like“ (s. Foto). Das ist schon ganz witzig, obwohl das Ergebnis mich nicht wirklich überrascht.

Der zweite Weg ist, eine Anfrage in „normaler Sprache“ zu formulieren und zu gucken, was Facebook draus macht. So kann man etwa eingeben, „Restaurants, die meine Freunde besucht haben und die sich in München befinden“. Da wird´s schon spannender, denn so kann ich in einer fremden Stadt Restaurantempfehlungen bekommen. Diese Empfehlungen werden mir mit hoher Wahrscheinlichkeit gefallen, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass meinen Freunden gefällt, was auch mir gefällt. Kleines Gimmick am Rande: Rechts neben den Suchergebnissen zeigt Facebook eine kleine Karte an, auf der man die Standorte der Restaurants sehen kann – und außerdem anhand der Größe der angezeigten Punkte erkennen kann, wieviele „Freunde“ jeweils ein Restaurant besucht haben.

Doch das alles kratzt vermutlich nur an der Oberfläche. Ich denke, schon in der oben beschriebenen einfachsten Nutzungsform ermöglicht der Graph Search eine ganz neue Sicht auf die Daten und eröffnet Möglichkeiten der Suche, die ich bei Google nicht habe. Es wird noch sehr spannend!

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Netzneutralität: Es ist schlimmer, als wir dachten

tkomNach den neuen Enthüllungen z. B. bei Golem.de ist klar: Die großen Backbone-Provider in den USA treten die Netzneutralität jetzt schon mit Füßen, indem sie von großen Playern wie Google oder Facebook Gebühren nehmen für bevorzugte Behandlung.

Damit bekommt die Diskussion, die vor einer Weile hier in Deutschland aufgrund der Drossel-Pläne der Telekom begonnen hat, eine ganz neue Brisanz. Denn natürlich ist es EINE Sache, Datenpakete Richtung Endkunden auf der „letzten Meile“ zu drosseln oder zu beschleunigen. Doch dieses Problem könnte man zumindest theoretisch (freilich nicht an allen Orten) dadurch zu lösen versuchen, dass man als „gedrosselter“ Endkunde schlicht den Provider wechselt.

Wenn aber die Daten bereits auf Backbone-Ebene manipuliert werden, verlagert sich das Problem. Es verlagert sich einerseits von Deutschland auf die globale Ebene. Denn dann ist nicht mehr die Frage, wer mir den Internet-Anschluß zur Verfügung stellt, sondern bei wem ich Musik oder Videos kaufe, bzw. welche Bandbreiten-intensiven Dienste ich abonniere. Das ist per se zunächst nicht besser oder schlimmer als das Telekom-Thema, es ist aber anders – und es entzieht sich mal wieder dem direkten Zugriff der deutschen Legislative.

Zum zweiten: Wenn heute bereits derart dominierende Player wie Google oder Facebook bereit sind, ihre Daten per Gebühr an die Netzbetreiber priorisieren zu lassen – dann ist das Thema eigentlich schon durch. Und das ganz schlicht deshalb, weil alle anderen Player einfach kleiner sind. Sollten Sie trotz allem noch „mitspielen“ wollen, wird das ein relativ fruchtloses Unterfangen sein – denn gegen die Markt- und Geldmacht der „Großen“ werden sie kaum ankommen.

Und das wäre das Ende des Internets, wie wir es kennen.

Was bleibt also:

  1. Es ist alles viel schlimmer, als wir dachten
  2. Wie so oft kann man nur an die Politik appellieren, sich endlich um Fragen der Netzpolitik ernsthaft und kompetent zu kümmern – der berühmte „Neuland“-Satz der Kanzlerin spricht allerdings nicht gerade dafür, dass man hier realistisch irgendwelche Hoffnungen hegen dürfte.

PS: Dass die Deutsche Telekom derzeit, wie oben auf dem Foto zu sehen ist, massiv ihr „Entertain“-Angebot bewirbt (das im Fall des Falles ja von der Drosselung ausgenommen wäre), ist sicher purer Zufall.

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Münchner Stadtrat live im Internet: Die schwierige Online-Demokratie

Münchner Stadtrat live im InternetSeit dem heutigen Mittwoch sendet der Münchner Stadtrat seine Sitzungen live im Internet – allerdings zunächst nur versuchsweise für neun Monate.

Interessant ist die Diskussion und auch die Verkrampftheit, die das Thema innerhalb des Stadtrates begleitet. So dürfen etwa von der Kamera im 3. Stock des Sitzungssaals immer nur die jeweiligen Redner sowie die Referentenbank (Für Stadtrats-Laien: Das sind die „Minister“ in einem Stadtparlament) gezeigt werden.

Das macht die ganze Angelegenheit natürlich hundslangweilig. Die Pressestelle der Stadt schiebt hier Datenschutz-Gründe vor, offenbar hatte jeder einzelne Stadtrat vorab eine Erklärung zu unterzeichnen, die es erlaubt, ihn oder sie zu filmen. Und einige haben das halt nicht unterschrieben.

Und das verstehe ich beim besten Willen nicht. Erstens: Das sind gewählte Volksvertreter. Sie haben vor dem Wähler die Pflicht, Ihr Handeln transparent zu machen. Schon klar: Die lieben Volksvertreter haben möglicherweise Angst, dass ihre Fremdbeschäftigungen während der Sitzungen nun quasi „öffentlich“ werden. Nur: Erstens gibt es Live-Übertragungen in Parlamenten mit Berufs-Politikern eh schon lange, und auch dort geht allenfalls ganz kurz ein Raunen durchs Publikum, wenn der Finanzminister während der Sitzung auf dem iPad Mahjongg spielt. Und zweitens: Die Verwandten-Affäre hat ja gerade erst gezeigt, dass die moralischen Ansprüche an das Verhalten von Volksvertretern offenbar gestiegen sind. Also sollten die lieben Städträte ihre Zeitung vielleicht künftig doch lieber daheim lesen.

Denn insgesamt sind solche Live-Übertragungen eine riesen Chance für unsere Demokratie, die damit transparent, unmittelbar, erlebbar wird. Gerade in Zeiten, da das Wort „Politikverdrossenheit“ gefühlt in jedem zweiten Leitartikel vorkommt und junge Leute scheinbar nur noch online unterwegs sind, ist das der richtige Weg.

Gleichzeitig ist die Übertragung aber auch eine riesen Chance für Journalisten, und das aus mehreren Gründen.

  1. Vieles an so einer Stadtratssitzung ist erklärungsbedürftig. Zum Beispiel: Was ist eine „Tischvorlage“, warum wird wann wie abgestimmt, wer redet wann und warum, usw. usf. Hier können Journalisten sinnvoll eingreifen – sie müssten dafür allerdings die richtigen Online-Tools beherrschen, und der Stadtrat müsste das Einbinden des Videostreams auf „fremden“ Seiten gestatten.
  2. Es ist zwar aus den oben beschriebenen Gründen toll, dass es die gesamte Sitzung live im Internet anzuschauen gibt – aber wer will das schon wirklich, wer hat so viel Zeit. Auch hier könnten Journalisten ins Spiel kommen, könnten die Highlights aus dem Material herauspicken, themenbezogene Specials anbieten, vielleicht auch thematisch zusammenhängendes Material aus mehreren Sitzungen miteinander verknüpfen, Hintergründe erklären, zusätzliche Stimmen einfangen.

So könnten am Ende völlig neue Erzählformen entstehen. Allerdings müßten die Journalisten auch dafür das digitale Handwerkszeug beherrschen. Ich befürchte: Wenn es die etablierten Medien und Journalisten nicht hinkriegen, werden es – wie schon jetzt bei der Flutkatastrophe – einfach andere Leute machen. Das wäre schade.

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„Spiegel online“ mit neuem „Echtzeit-Ticker“

20130528-095157.jpgDie neueste Errungenschaft von „Spiegel online“ kann man ganz verschieden interpretieren. Fakt ist jedenfalls: Seit kurzem gibt es als neue Darreichungsform einen „Echtzeit-Ticker“, in dem laut Spiegel online „im Minutentakt Nachrichten, Tweets und Fundstücke aus dem Internet“ veröffentlich werden.

Interpretation 1: Das ist nichts anderes als das, was Journalisten seit Jahrzehnten als stetigen Nachrichtenstrom der Agenturen kennen. Seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts sitzen Redakteure bei Zeitungen und im Rundfunk vor Computern, auf denen ständig die neuesten Meldungen einlaufen. Doch damit beginnt der Job des Redakteurs erst: Er muß auswählen, gewichten, filtern. Mutet hier also der Spiegel seinen geneigten Lesern einen ungefilterten Nachrichtenstrom zu, um Arbeitskräfte zu sparen?

Das wohl nicht, denn im Header der Seite sind nicht weniger als 4 Mitarbeiter genannt, die für den „Echtzeit-Ticker“ schreiben. Das Ergebnis ist dennoch relativ wirr: Von einem abgestürzten Militär-Jet im Pazifik über einen sehr alten Japaner und einen Fehlalarm am Dresdner Hauptbahnhof (journalistisch gesehen eigentlich eine so genannte „Nicht-Meldung“…) liefert der Echtzeit-Ticker ein wüstes Sammelsurium, mit dem man erstmal nicht so richtig etwas anzufangen weiß.

Interpretation 2: Das sieht doch genauso aus wie die Chronik bei Facebook oder die Timeline bei Twitter. Auch dort findet sich ja typischerweise Relevantes neben wirrem Zeug. Versucht hier also jemand, die Anmutung sozialer Netzwerke nachzuahmen? Oder gar, das ganze System von den Füßen auf den Kopf zu stellen? Denn normalerweise ist es ja so, dass Nachrichten-Schnipsel der etablierten Plattformen irgendwann – meist sehr rasch – ihren Weg in die Netzwerke finden. Das Ganze nun umzukehren, indem man „Funstücke“ aus den Social Networks wiederum auf einer klassischen Massenmedien-Plattform veröffentlicht, macht nicht unbedingt Sinn.

Interpretation 3: Ist der Echtzeit-Ticker vielleicht eines der spannendsten journalistischen Experimente der letzten Zeit? Schließlich könnte man wohlmeinend vermuten, hier solle der Versuch unternommen werden, zum  Einen die Welt in ihrer Komplexität und Schnellebigkeit 1:1 abzubilden, und gleichzeitig dem „Echtzeit-Medium“ Internet endlich mal so richtig gerecht zu werden. Ja, da könnte schon was dran sein. Vielleicht darf man über den konkreten Inhalt des Tickers nicht zu hart urteilen, das Ganze (inklusive seiner Mitarbeiter) ist ja schließlich noch neu und muß sich erst finden. Spannend wäre es aus meiner Sicht jedenfalls durchaus, einen schnellen, wenig bis nicht gefilterten Ticker (der allerdings journalistisch schon noch ein wenig durchdachter sein dürfte und der mehr „Netz-Fundstücke“ bringen müßte) sinnvoll zu kombinieren mit dem Rest einer Nachrichten-Site, die dann die Aufgabe hätte, das wirklich Wichtige über die Zeit zu bewahren, die Geschichten stringent weiterzuentwickeln, sie einzuordnen und zu interpretieren.

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