Die Paywall der Rhein-Zeitung: Ohne Phantasie

rheinzeitungSeit gestern ist es soweit: Die Koblenzer  „Rhein-Zeitung“, einer der Internet-Pioniere in der Branche, hat jetzt eine Paywall.

Genau gesagt: eine Paywall mit Löchern drin. Denn 10 Artikel darf weiterhin jeder pro Monat kostenlos lesen, auch die so genannten „Mantel-Inhalte“, also alles Überregionale, bleiben frei zugänglich, ebenso alles, was bei Facebook oder Twitter gepostet wird. Im Endeffekt steht die Mauer also nur vor den lokalen Inhalten. Das ist, wenn man es genau betrachtet, fast genau das gleiche Modell, wie es auch die „New York Times“ gewählt hat. Auch dort ist nach 10 Artikeln erstmal Schluß.

Dieses Modell hat aus meiner Sicht zwei ganz klare Sollbruchstellen.

  1. Wer sagt, dass der elfte Artikel, den ich gerne lesen möchte, ausgerechnet so hammermässig spannend ist, dass ich für genau diesen Artikel über die „Paywall“ springe? In der aktuellen Online-Ausgabe der Rheinzeitung sind im Lokalteil unter anderem auch Themen wie „Foto-Freunde präsentieren Kräuter-Impressionen im Stöffel-Park“ (???) im kostenpflichtigen Bereich. Sowas lese ich vielleicht im Vorbeigehen, wenn ich gerade nichts besseres zu tun habe – aber zum Portemonnaie greife ich hier nicht. Bei anderen Geschichten – wie etwa der Seilbahn in Koblenz oder der Sache mit Amazon und den Tarifverträgen für die Mitarbeiter vielleicht schon eher. Ich frage mich deshalb, ob nich ein Paywall-Modell besser wäre, das auf irgendeine Weise den „Nachrichtenwert“ (ich weiß schon, den kann man nicht objektiv messen) einer Geschichte berücksichtigt.
  2. Die Struktur einer deutschen Regionalzeitung ist grundlegend anders als die eines Weltblattes wie der „New York Times“. Zum Beispiel hängt das Geschäft eines regionalen Verlages immer in hohem Maße (print wie online) an den Anzeigenrubriken. Die aber kann man online gar nicht absperren, weil es in allen klassischen Rubriken (mit Ausnahme der Todesanzeigen) viel, auch viel kostenlose, Online-Konkurrenz gibt. In einem weiteren wichtigen Feld, dem lokalen Sport, verhält es sich genauso. Ich frage mich deshalb, ob eine so löchrige, so „kleine“ Paywall wie die in Koblenz nicht doch eher symbolischen Charakter hat. Ein richtig schlaues, richtig neues Modell kann ich jedenfalls nicht darin erkennen.

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Die deutsche „Huffington Post“ startet

Bildschirmfoto 2013-10-10 um 11.23.28Nach all der Häme, die sich vor allem in den Sozialmedien in den letzten Tagen über das Projekt „deutsche Huffington Post“ ergossen hat (Zeter! Boris Becker macht mit! Mordio! Cherno Jobatey ist dabei!!!), geht es seit heute um die Wurst. Vor einer guten Stunde ist die deutsche Ausgabe der „Huffington Post“ offiziell gestartet.

Der Eindruck, den die Website auf mich macht, ist noch sehr gemischt. Das beginnt beim Aufmacher, der sehr nach Bildzeitung klingt und den ich journalistisch nicht nachvollziehen kann (die Meldung, dass angeblich jeder dritte Deutsche Neuwahlen will, habe ich noch nirgends anders gelesen, was ich aber erwarten würde, wenn das eine große, ernstzunehmende Studie wäre). Und so geht es auf der Seite weiter: Aha, ein Dreamliner hat mal wieder umkehren müssen, weil die Toiletten defekt waren. Soso, die „deutschen müssen ihre Körpersprache ändern“ (???). Zwischen diesen Kuriositäten offensichtliche Spinoffs der amerikansichen Huffpost-Mutter („Reportage aus dem Todestrakt“) und die normale Nachrichtenkost, die ich heute auch auf allen anderen großen Nachrichtensites finde (der berühmte Bischofssitz in Limburg, der Machtpoker bei den Grünen).

Dies alles findet bei der Huffpost in der mittleren von drei Content-Spalten statt – und das brauche ich so eigentlich nicht, zumal die Artikel nicht besonders tief gehen, jedenfalls nicht so tief wie die Meldungen bei der Konkurrenz.

Interessant ist dagegen die linke Spalte: hier findet man in regelmässigem HTML5-Wechsel die Beiträge der „Gastautoren“ von Boris Becker bis Nicolas Berggruen und Ursula von der Leyen. Es liegt in der Natur der Sache, dass das zum großen Teil natürlich keine aktuellen Beiträge sind, sondern eher Aufsätze im Stil eines Leitartikels. Der Themenmix ist durchaus interessant, er reicht von Gedanken über die Zukunft der Arbeitswelt über das für und wider der Todesstrafe bis hin zu Ausführungen über das sichere Speichern von Daten in der Cloud.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich diese Spalte zu etwas orignellem, einzigartigem entwickelt. Momentan aber kommt mir das alles noch relativ beliebig vor. Man muß also mal abwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir die Huffington Post insgesamt noch zu konventionell und noch nicht wirklich Fisch oder Fleisch.

Gar nicht gefällt mir hingegen die mobile Website, die auf der Homepage ausschließlich die teils sehr nichtssagenden Schlagzeilen anbietet. Hier müssen die Verantwortlichen dringend nochmal ran und entweder bessere Überschriften machen oder wenigstens einen kurzen Textvorspann zusätzlich anbieten.

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Die Paywall bei der „Bild“: Ich versteh´ sie nicht

Groß war sie angekündigt worden: Die so genannte „Paywall“ bei der elektronischen Variante der Bild-Zeitung: Seit 11. Juni muß man nun für einige Inhalte der Homepage Geld bezahlen. Die Abomodelle reichen dabei von 99 Cent (im Testzeitraum, später 1,99) im Monat bis zu über zehn Euro für das Komplettpaket inklusive Bundesliga.

Allein: Ich verstehe das Ganze nicht.

Um die Reichweite (und damit die Werbe-Erlöse, die sich aus den Klickzahlen auf die Seiten speisen) nicht zu gefährden, ist weiterhin das meiste kostenlos zu lesen – unter anderem auch das berühmte „Bild-Mädchen“. Bei meinem Test war beispielsweise die gesamte Berichterstattung über die „Jahrhundert-Flut“ frei zugänglich. Ein Bericht über den Aleppo-Besuch des Schauspielers Jan Josef Liefers (der „Professor Börne“ aus dem Tatort) jedoch nicht. Ein kurzer Gegen-Check bei Google ergab: Auch der Link von dort auf den „Bild“-Bericht ist gesperrt (das ist anders als etwa bei der New York Times, wo Links von Google und aus sozialen Netzwerken grundsätzlich immer offen sind). Allerdings: Eine einfache Google Suche nach den Begriffen „Liefers Aleppo“ ergabe zahlreiche weitere Berichtet zum Thema, etwa vom Kölner Stadtanzeiger, die natürlich frei zugänglich waren.

Damit komme ich nicht umhin, eine ähnliche Schlußfolgerung zu ziehen wie vergangene Woche schon Thomas Knüwer auf dem Blog „Indiskretion Ehrensache“: Das Ganze scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt (noch) relativ unausgegoren. Es macht keinen Sinn, Inhalte zu sperren, die ich genauso oder ähnlich über eine einfache Google-Suche woanders finden kann. Und Inhalte, die ich nicht so leicht woanders finden kann, sehe ich bis dato auf Bild.de allenfalls aus dem Ressort „Das Reich der Seltsamkeiten“: Für die Geschichte zum Thema „Was Sie tun müssen, um 100 Jahre alt zu werden“ würde ich nicht mal 99 Cent zahlen – darüber schlapp lachen kann ich mich auch so.

Die Tragik an der Geschichte mit der „Bild+“ genannten Bezahlschranke: Es wird ein an sich aus Sicht der Verlage absolut wichtiges Unterfangen, nämlich die Refinanzierung der Inhalte über direkte (also nicht Werbe-) Erlöse zu verbessern, deutlich zurückgeworfen. Wenn die Verantwortlichen nicht schnell nachbessern, werden sich andere Verlage an das Thema mit Sicherheit noch weniger herantrauen als bis dato.

(Disclaimer: Ich bin bei einem deutschen Regionalzeitungsverlag angestellt. Die hier geäußerte Meinung ist jedoch meine private und nicht die meines Arbeitgebers)

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Münchner Stadtrat live im Internet: Die schwierige Online-Demokratie

Münchner Stadtrat live im InternetSeit dem heutigen Mittwoch sendet der Münchner Stadtrat seine Sitzungen live im Internet – allerdings zunächst nur versuchsweise für neun Monate.

Interessant ist die Diskussion und auch die Verkrampftheit, die das Thema innerhalb des Stadtrates begleitet. So dürfen etwa von der Kamera im 3. Stock des Sitzungssaals immer nur die jeweiligen Redner sowie die Referentenbank (Für Stadtrats-Laien: Das sind die „Minister“ in einem Stadtparlament) gezeigt werden.

Das macht die ganze Angelegenheit natürlich hundslangweilig. Die Pressestelle der Stadt schiebt hier Datenschutz-Gründe vor, offenbar hatte jeder einzelne Stadtrat vorab eine Erklärung zu unterzeichnen, die es erlaubt, ihn oder sie zu filmen. Und einige haben das halt nicht unterschrieben.

Und das verstehe ich beim besten Willen nicht. Erstens: Das sind gewählte Volksvertreter. Sie haben vor dem Wähler die Pflicht, Ihr Handeln transparent zu machen. Schon klar: Die lieben Volksvertreter haben möglicherweise Angst, dass ihre Fremdbeschäftigungen während der Sitzungen nun quasi „öffentlich“ werden. Nur: Erstens gibt es Live-Übertragungen in Parlamenten mit Berufs-Politikern eh schon lange, und auch dort geht allenfalls ganz kurz ein Raunen durchs Publikum, wenn der Finanzminister während der Sitzung auf dem iPad Mahjongg spielt. Und zweitens: Die Verwandten-Affäre hat ja gerade erst gezeigt, dass die moralischen Ansprüche an das Verhalten von Volksvertretern offenbar gestiegen sind. Also sollten die lieben Städträte ihre Zeitung vielleicht künftig doch lieber daheim lesen.

Denn insgesamt sind solche Live-Übertragungen eine riesen Chance für unsere Demokratie, die damit transparent, unmittelbar, erlebbar wird. Gerade in Zeiten, da das Wort „Politikverdrossenheit“ gefühlt in jedem zweiten Leitartikel vorkommt und junge Leute scheinbar nur noch online unterwegs sind, ist das der richtige Weg.

Gleichzeitig ist die Übertragung aber auch eine riesen Chance für Journalisten, und das aus mehreren Gründen.

  1. Vieles an so einer Stadtratssitzung ist erklärungsbedürftig. Zum Beispiel: Was ist eine „Tischvorlage“, warum wird wann wie abgestimmt, wer redet wann und warum, usw. usf. Hier können Journalisten sinnvoll eingreifen – sie müssten dafür allerdings die richtigen Online-Tools beherrschen, und der Stadtrat müsste das Einbinden des Videostreams auf „fremden“ Seiten gestatten.
  2. Es ist zwar aus den oben beschriebenen Gründen toll, dass es die gesamte Sitzung live im Internet anzuschauen gibt – aber wer will das schon wirklich, wer hat so viel Zeit. Auch hier könnten Journalisten ins Spiel kommen, könnten die Highlights aus dem Material herauspicken, themenbezogene Specials anbieten, vielleicht auch thematisch zusammenhängendes Material aus mehreren Sitzungen miteinander verknüpfen, Hintergründe erklären, zusätzliche Stimmen einfangen.

So könnten am Ende völlig neue Erzählformen entstehen. Allerdings müßten die Journalisten auch dafür das digitale Handwerkszeug beherrschen. Ich befürchte: Wenn es die etablierten Medien und Journalisten nicht hinkriegen, werden es – wie schon jetzt bei der Flutkatastrophe – einfach andere Leute machen. Das wäre schade.

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Münchner Medientage: warum man nicht mehr hingehen muss

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=sV8N3B32AxE]Früher waren die Münchner Medientage, die jedes Jahr Ende Oktober stattfinden, für mich ein Fixpunkt in meinem Terminkalender. Im Kongresszentrum an der Münchner Messe in Riem gab es immer interessante Vorträge zu hören, und wer nicht da war, der hatte hinterher etwas verpasst. Aber das ist jetzt vorbei.
Und zwar aus zwei Gründen: erstens ist das, was von den wichtigen der Medienbranche ihr so erzählt wird, inhaltlich nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Dazu nur ein Beispiel: Telekom Chef René Obermann forderte diese Woche doch tatsächlich, dass Google für die Nutzung der Telekom Netze bezahlen sollte. Absurder, gestriger geht es nicht. Und ich muss wirklich nicht auch noch Geld dafür bezahlen und einen Tag Arbeitszeit opfern, um mir Leute anzuhören, die das Internet, die Social Media noch immer nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen.
Der zweite Grund ist ganz pragmatisch: ich kann mir die Medientage auch so anschauen. Ohne hinzugehen. Dazu genügt es, auf YouTube einfach mal den Suchbegriff Münchner Medientage einzugeben – und man kann sich viele Panels anschauen. Ob das will, siehe oben, ist eine andere Frage.
Noch viel schöner ist es, während der Medientage bei Twitter den Hashtag #mtm12 einzugeben – und schon kann man quasi live verfolgen, was wer in welcher Podiumsdiskussion gerade sagt. Das hat sogar noch einen Mehrwert gegenüber der persönlichen Anwesenheit, denn physisch kann ich ja immer nur gleichzeitig in einem Saal sein, auf Twitter dagegen bin ich überall.
Ich würde mal interessieren, ob das andere Leute auch zu sehen. Denn dann haben die Medientage ein potentielles Problem. Es würde mich in diesem Fall wiederum nicht wundern, wenn man anfangen würde, live twittern oder YouTube Videos verbieten zu wollen. Das würde in die alte Denke passen. Aber letztlich nichts helfen.

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Coldplay, der DJV und das Recht am eigenen Bild

Coldplay ist eine sehr bekannte Band. Fotos der Konzerte haben also einen gewissen Marktwert – sind aber auch berichtenswerte Ereignisse für die Medien. Und hier gab es jetzt Ärger. Denn Coldplay läßt üblicherweise sämtliche Pressefotografen einen Vertrag unterschreiben, der unter anderem einen Passus enthält, nach dem alle Fotografen sämtliche beim Konzert gemachten Fotos der Band zur kostenfreien Nutzun überlassen müssen. Dagegen protestierte die deutsche Journalisten-Gewerkschaft DJV per Pressemitteilung und rief alle Kollegen zum Boykott auf.

Daran ist erstmal nichts ungewöhnliches. Ich selber habe schon vor über 20 Jahren bei Herbert-Grönemeyer-Konzerten ganz ähnliche Verträge unterschrieben – und mich dann natürlich nicht dran gehalten.

Der Unterschied ist nur: Wenn vor 20 Jahren sämtliche Pressefotografen ein Konzert boykottiert hätten, dann hätte es praktisch keine Bilder davon gegeben. Damals erhältliche Consumer-Kameras waren in technischer Hinsicht derartig unzulänglich, dass sie für Konzertfotografie schlicht nicht zu gebrauchen waren. Nicht zuletzt sorgte das für ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal und damit eine Geschäftsgrundlage für Pressefotografen: Sie alleine hatten teures Equipment, mit dem alleine man nur in der Lage war, brauchbare Fotos von Konzerten oder Sportereignissen anzufertigen.

Das ist heute ganz anders. Sogar Mobiltelefone stehen technisch kurz vor, wenn nicht sogar auf der Schwelle zu einer Bildqualität, wie sie vor 20 Jahren nicht einmal professionelle Kameras boten. Damit wird es schlichtweg immer egaler, was die einstige Elite der Pressefotografen denkt und tut.

Das kann man jetzt bewerten, wie man will – insbesondere kann man als Betroffener natürlich trefflich darüber jammern. Ich aber sage: Ein guter Fotograf war schon immer mehr als die Summe seiner Objektive und Kameras, denn nur wußte, wie ein gutes Bild auszusehen hat und wie man technisch dafür sorgt, dass dieses Bild auch tatsächlich so entstehen kann. Das ist noch immer wertvolles Wissen – und die Fotografen sollten lieber darüber nachdenken, wie sie dieses Wissen besser vermarkten können, als zu kurzsichtigen Boykottaktionen aufrufen.

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Fußball-EM: Marcel ist reif

Screenshot von marcel-ist-reif.de

Nur ganz kurz: Für mich ist diese Seite schon jetzt das Phänomen der EM 2012 – und außerdem ein weiteres Menetekel dafür, dass sich die Welt der Massenmedien mit Riesenschritten ändert. Und zwar so:

 

Früher: „Oh Mann, was für ein blöder Moderator – aber gut, es gibt ja nix anderes!“

Heute: „Oh Mann, was für ein blöder Moderater – los komm, wir setzen ne Website auf und machen es einfach selbst!“

 

Was kann das Massenmedium Fernsehen dagegen tun, dass es hier quasi mit den Mitteln der Social Media gekapert wird? Nix.

Und das its auch gut so. Schaut (oder besser: hört) mal rein, das ist ech witzig.

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Online-Journalismus: Wolf Schneider und das Web

Deutsch: Wolf Schneider (* 7. Mai 1925 in Erfu...

Wolf Schneider (Bild) ist ein Mensch, den jeder deutsche Journalist kennt: Sein Bücher „Deutsch für Profis“ und „Das neue Handbuch des Journalismus“ sind Standardwerke, die den heute 86-jährigen zum absoluten Branchen-Promi gemacht haben.

Allerdings: Jetzt ist Schneider ins Zentrum eines regelrechten „Shit-Storms“ gerückt. Die Neuauflage seines Journalisten-Handbuchs hat auch ein Kapitel über Online-Journalismus, das vielen offenbar nich gefällt, weiles angeblich nicht gerade vor Sachkenntnis strotzt.

Sei dem, wie ihm wolle. Das Ganze hat jetzt aber der Online-Branchendienst „Meedia.de“ zum Anlaß genommen, Wolf Schneider zu interviewen – und dieses Interview ist sehr lesenswert. Einerseits offenbart sich darin eine gewisse Geringschätzung des Grandseigneurs für das Medium Internet im Allgemeinen und die Blogosphäre (die den Shit-Storm ausgelöst hat) im Besonderen. Nun gut, irgendwie kommt hier das Alter wohl schon ins Spiel.

Auf der anderen Seite aber sagt Schneider auch Sätze, die man immer noch, selbst im Jahr 2012, jedem Volontär ins sprichwörtliche Stammbuch schreiben möchte. Zum Beispiel jenen, in dem Schneider erklärt, was das wirkliche Wesen von gutem Journalismus ist:

Man darf nicht darauf warten, dass die Leute von sich aus sagen, was sie wollen. Man muss die Witterung haben, was sie morgen wollen werden.

Für diesen Satz kann man Schneider immer noch gerne haben – aber wie gesagt: Das ganze Interview ist sehr lesenswert; hier bei Meedia.de.

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„La Tribune“: Zeitungssterben in Frankreich

Heute melden es die Agenturen: Die renommierte französische Wirtschaftszeitung „La Tribune“ stellt nach rund 25 Jahren ihr Erscheinen auf Papier ein und geht ins Internet. Nach „France Soir“ ist das der zweite große Print-Titel, den es (jedenfalls in der hergebrachten Form) nicht mehr gibt.

Für mich ist das ein Indiz dafür, dass eine Entwicklung, die schon vor Jahren ihren Anfang in den USA genommen hat, nun zu uns nach Europa überschwappt. Vordergründig gesagt: Zeitungen sterben.

Es lohnt sich aber, über die Gründe nachzudenken. Damit meine ich nicht die Anzeigen- und Auflagenschwünde, über die ohnehin genug diskutiert wird. Das sind alles nur Symptome einer größeren Entwicklung. Denn: Warum schwinden die Anzeigen denn? Weil sie keiner mehr braucht.

Hier ist der Umkehrschluß sehr interessant: Früher mal, so vor 20 Jahren, brauchte man die Tageszeitungen. Sie waren alternativlos. So (um an dieser Stelle mal einen etwas gewagten Vergleich zu bemühen), wie vor 40 Jahren mechanische Uhren alternativlos waren. Das sind sie schon längst nicht mehr. Digitaluhren sind genauer, wartungsfreier, billiger und können mehr. Aber dennoch gibt es nach wie vor Zeitmesser ohne Batterie – und mechanische Chronografen sind nicht nur am teuersten, sie sind auch diejenigen Uhren, an denen die Hersteller am meisten verdienen.

Insofern ist dieses Beispiel vielleicht doch nicht so gewagt, denn den Zeitungen steht ein Wandel noch bevor, den die Uhrenindustrie schon hinter sich hat: Der Wandel nämlich vom notwendigen Alltagsgegenstand zum Luxusartikel, zum Status-Symbol.

Wie groß die Chance ist, die darin liegt, hat mittlerweile schon der eine oder andere begriffen. Aber: Nur wenige Verlage haben den Mut, die Konsequenzen zu ziehen. Um nochmal zu meinem Uhrenvergleich zurückzukommen: Mit billigen Leiharbeitern aus der dritten Welt kann ich keine Rolex zusammendengeln, die dem Namen Ehre macht. Mit Blech und Schrauben aus der zweiten Wahl wird das ebenfalls nix werden. Klar: Hochwertige Rohstoffe (für Zeitungen etwa: moderne Technik) und perfekt ausgebildete Mitarbeiter, die freilich immer auch ihren Preis haben – ohne diese Komponenten wird der Wandel nicht gelingen.

Das Schöne aber ist: Noch können sich die Verlage aussuchen, welchen der beiden Wege sie gehen wollen. Aber vielleicht nicht mehr lange.

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Journalismus: Hoffnungsschimmer mal zwei

[youtube=http://www.youtube.com/watch?feature=player_profilepage&v=vK2_3WRRqgQ]Journalisten sind derzeit arg verunsichert – siehe das obige Video der „Axel Springer Akademie“ zur Zukunft der Zeitung. Aber: Zum Jahresende ist man ja eher versöhnlich gestimmt. Deswegen hier angesichts der vielen, vielen schlechten Nachrichen, die insbesondere Print-Journalisten in 2011 zu erdulden hatten, mal zwei Ansätze, die uns alle Hoffnung geben können – auch wenn sie aus ganz verschiedenen Richtungen kommen.

Der eine, vorgetragen von dem britischen Journalisten und Journalismus-Fachmann Steve Dyson, singt das Hohelied der Lokalzeitung. Am Beispiel der „Gazette & Herald“ wird erklärt, warum guter Lokaljournalismus noch immer sein Geld wert ist: Weil er eine lokale Geschichte mit allen Details erzählen kann – und das kann man nur, wenn man tatsächlich Reporter (erfahrene Reporter!) am Ort des Geschehens hat. Weil er weiß, was für die Menschen vor Ort wichtig ist und was sie interessiert. Weil er akribisch sein kann, weil er durchaus auch in der Print-Ausgabe genügend Platz hat, um seine Geschichten in hinreichender Ausführlichkeit zu erzählen. Und weil eine Print-Zeitung für die vielen Geschichten, die sie exklusiv bringen kann, immer noch saubillig ist.

Der zweite Ansatz ist ein digitaler. Er reflektiert auf die Ereignisse des arabisch-afrikanischen Frühlings, aber auch auf Themen wie die Erschießung von Osama Bin Laden, also insgesamt auf die Tatsache, dass „Breaking News“ heute in den Sozialmedien stattfinden und selbst klassische Nachrichtenagenturen das Primat der Nachrichtensetzung an diese Sozialmedien – allen voran Twitter – verloren haben. Und nicht nur das: Selbst dann, wenn klassische Medien die News etwas später „nachtwittern“, erzielen sie damit oft weniger Reichweite als „echte“ Blogger oder einfach Leute, die schlicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Folgerichtig nennt die Journalismus-Website „GigaOm“ diesen Paradigmenwechsel „News as a Process“ – und sieht ihn als Chance.

Denn: Den unglaublichen Wust an sich teilweise widersprechenden Info-Schnipseln, der dadurch entsteht, dass jeder Handybesitzer plötzlich eine Stimme hat, die potenziell alle hören können, muß ja irgendjemand ordnen. Und wer wäre dafür besser qualifiziert als Journalisten, die Nachrichtenauswahl und das Verifizieren von Quellen gründlich gelernt haben?

Eben. Die Zukunft an dieser Stelle könnte also so aussehen: Die Breaking News kommen von Twitter und Facebook zunächst mal ungefiltert in die Welt. Professionelle Journalisten filtern und verifizieren das Material und geben etwas später eine quasi „offizielle“ Version der Ereignisse heraus. Diese Version kann und wird sich solange ändern, wie eine Geschichte in Fluß ist – nehmen wir die Proteste in Ägypten, die sich über Wochen und Monate hinzogen. Wenn die Vorgänge hinreichend klar sind, kommen wiederum die professionellen Journalisten, stellen alles in einen Zusammenhang und erklären es – wobei sie sich an dieser Stelle durchaus auch schon mal vom hektischen Tagesgeschäft zurückziehen, um eben wirklich gründlich sein zu können. An letzter Stelle stehen im „Journalismus als Prozess“ dann ebenso wie heute: Die Geschichtsbücher.

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