Wikicon Nürnberg – eine Nachlese

„Für die meisten Leute ist die Vorstellung, einen Text schreiben zu müssen, eine Strafe.“

Dieser Satz ist für mich sowas wie der Schlüsselsatz der WikiCon am vergangenen Wochenende in Nürnberg. Gesagt hat ihn Henriette Fiebig in einer Diskussionsrunde zum Thema „Sind Frauen die besseren Wikipedia-Autoren“? – Auch das für mich ein Schlüsselerlebnis.

Aber zurück zum Schlüsselsatz. Warum trifft er so genau den Punkt?

Es ist ja schon genügend geschrieben worden zum Thema „Warum funktioniert Wikipedia“ – das meiste davon sogar schon vor Jahren. In jüngerer Zeit drehte sich die Diskussion dann nach meinem Eindruck eher darum, warum (insbesondere die deutsche Wikipedia) teilweise eher schlecht bis nicht funktioniert hat (Stichwort: Relevanz-Diskussion…).
Der Schlüsselsatz aber beschreibt sehr gut, warum Wikipedia nie eine Massenveranstaltung werden wird: Weil Menschen in der Regel weder (gut) schreiben können noch schreiben wollen. Wohlgemerkt: Wir reden hier noch gar nicht über das Faktenwissen, das in einem Wikipedia-Artikel dargestellt werden soll – Fazit also: Bei vielen, bei der Mehrheit scheitert die Mitarbeit an Wikipedia schon ganz weit im Vorfeld.
Das hat unter anderem zur Folge, das viel sicherlich hochwertiges Fachwissen, das in den Köpfen der Leute vorliegt, gar nicht den Weg ins große Lexikon findet. Und das alleine aufgrund von Schreibfaulheit. Woher die kommt, ob es die in anderen Ländern (USA!) auch so gibt und wer daran schuld ist – das sind alles Randaspekte.

Wichtig ist: Die Grundgesamtheit der deutschen Wikipedia-Autoren ist sehr klein, und sie wird es bleiben. Zweitens: Diese Grundgesamtheit kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft (denn die Mitte schreibt nicht), sondern vom Rand. Wobei „Rand“ keine Abwertung sein muß oder sein soll – es kann auch eine Aufwertung sein. Aber unter dem Strich gilt die Aussage, glaube ich.

Der „Rand“ funktioniert teilweise nach eigenen Regeln. Wenn man beispielsweise hört, wie die Auswahl (und auch die „Wahl“) von Administratoren abläuft, dann muß man sagen: Echte Demokratie geht anders.

Warum ich teilweise Gänsehaut bekam, als mir auf der Wikicon solche Sachen klar wurden:

  1. Administratoren bei Wikipedia haben Macht über andere. Sie können deren Texte verändern oder sogar Benutzer sperren. Macht aber ist generell für Menschen immer gefährlich. Deswegen gibt es ja in den westlichen Demokratien so viele „Checks and Balances“, die die uneingeschränkte Ausübung von Macht letztlich wirkungsvoll verhindern. Bei Wikipedia gibt es diese Mechanismen aus meiner Sicht nicht hinreichend, bzw. gibt es keinen Kodex oder ein gemeinsames Wertesystem, nach dessen Regeln die Ausübung administrativer Macht geordnet ablaufen könnte. Und mit der Abkehr vom „Jeder-darf-Alles“-Prinzip der Anfangsjahre steht damit auch das Postulat der Schwarm-Intelligenz zur Disposition, denn nun dürfen ja nur noch wenige vieles.
  2. Die Wikipedia ist mittlerweile für unsere Gesellschaft (oder sagen wir präziser, für deren jüngere Hälfte) zu wichtig geworden, um solch letzten Endes willkürliche Prozesse tolerieren zu können. In dem Moment, da große Teile, um nicht zu sagen: die Mitte der Gesellschaft das für Wahrheit hält, was der Rand (s.o.) produziert, kann es zumindest potenziell gefährlich werden.
  3. Das Projekt Wikipedia ist natürlich zu schön, um jetzt große staatliche Überwachung zu fordern. Aber es sollte erlaubt sein, sehr genau hinzuschauen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert