Wie sozial sind Soziale Netzwerke?

TwitterSchöner als Twitterer @sechsdreinuller in seinem Account-Motto kann man es nicht sagen: Soziale Medien drehen sich zu einem nicht geringen Teil um sich selbst.

Sicher: Das berühmte Flugzeug auf dem Hudson River, der Aufstand in Ägypten, jener Twitterer, der unabsichtlich live über die Erschießung von Osama bin Laden berichtet hat – das alles sind Erfolgsgeschichten, die sich insbesondere um den Microbloggingdienst Twitter ranken. Allerdings: Wenn man böse ist, kann man diese Erfolgsgeschichten durchaus vergleichen mit Perlen in einem Misthaufen.

Aber ich bin ja nicht böse. Und sehe es ähnlich, wenn auch nicht ganz so krass wie @sechsdreinuller: Wer Twitter (und natürlich auch Facebook) exzessiv nutzt, wird mit viel Information konfrontiert. Manches davon macht Spaß, unterhält, fordert zur Gegenrede heraus. Aber ganz ehrlich: Oft geht auch einfach nur der Tag vorbei, und man hat sich wieder mal erfolgreich davor gedrückt, mit seiner Zeit irgendetwas sinnvolles anzufangen.

Es gibt hinreichend viele schöne Theorien (siehe Duncan J. Watts, Barabasi, Granovetter, Malcolm Gladwell und andere…), die erklären, wie und warum soziale Netzwerke so toll funktionieren. Aber ist es nicht interessant zu sehen, dass quasi sämtliche Veränderungen, die Facebook innerhalb der letzten Monate an seiner Plattform vorgenommen hat, das Ziel haben, Informationen besser zu filtern, zum User nur noch das Relevante durchzulassen, und Irrelevantes wegzufiltern? Ist es nicht spannend, dass Google+ von seinem ganzen Ansatz her darauf ausgelegt, die Verbreitung von Informationen granularer zu machen, genauer zu steuern, wer eine Information bekommt und wer nicht? Eben.

Schauen wir uns an dieser Stelle doch mal das „echte“ soziale Leben an, so wie es seit Jahrtausenden stattfindet: Man hat Familie, man hat ein paar enge Freunde und ein paar mehr eher weitläufige Bekannte. Je enger die Bindung, desto mehr kommuniziert(e) man mit den betreffenden Menschen – ganz einfach deshalb, weil man ihnen räumlich auch näher war und es keine Möglichkeiten gab, räumliche Distanz in Echtzeit zu überbrücken. Man könnte also die Behauptung aufstellen, dass in den letzten Jahrtausenden soziale Kontakte eine Funktion von räumlicher Nähe waren.

Das war sicher nicht immer gut, denn es funktioniert ja in beide Richtungen: Wenn jemand mir räumlich näher ist, ist er mir tendenziell auch sozial näher – aber wenn dieser jemand dann wegzieht, muß ich mehr oder weniger auch den Kontakt herunterfahren, ob ich will oder nicht. Wer einmal in Zeiten der Briefpost in eine jungen Dame in, sagen wir mal, Irland verknallt war, der weiß, was ich an dieser Stelle meine: Das Unterfangen ist ganz schön schwierig, wenn ein Brief für die einfache Strecke ca. drei Wochen braucht.

Insofern leben wir heute in einer schöneren Welt, denn räumliche Distanz hat als Determinante der Tiefe einer Beziehung ausgedient. Es ist natürlich toll, mit Leuten in Kontakt bleiben zu können, auch wenn die plötzlich in Berlin, Glasgow oder San Diego arbeiten. Es gibt dabei nur zwei Probleme:

  1. Über die Zeit steigt die Anzahl der Kontakte, die auf diese Art „gemanagt“ werden müssen
  2. Wenn die Distanz als „Filter“-Kriterium wegfällt – nach welchen Kriterien filtern wir dann?

Die Technik wird uns da nur bedingt weiterhelfen – die mehr oder weniger sinnlosen Versuche von Facebook, mit Hilfe von Automatismen zu einer „besseren“ Timeline zu kommen, sprechen da eine deutliche Sprache. Nein – wir müssen schon selber schauen, wie wir mit dem Problem klarkommen. Das Doofe ist nur, dass unser Gehirn für soziale Netze nicht gebaut scheint. Denn:

  • Wir sind von Natur aus neugierig. In der „richtigen“ Welt ist das kein Problem, weil die hier maximal mögliche Informationsdichte genau die ist, die wir auch verarbeiten können. Die Sozialnetze aber überfüttern uns, und wir finden´s auch noch toll – weil wir nicht anders können.
  • Wir leben von Lob, Wertschätzung und Anerkennung, das wissen wir nicht erst seit der Maslow´schen Bedürfnispyramide. Und was geben uns die Sozialnetze? „Likes“, „Favs“, „Retweets“ – also genau das. Auch hier können wir nicht anders, als immer weiter auf diese billigen Belohnungsmechanismen zu setzen. Obwohl es eigentlich nichts bringt.

Im Jahr 5 nach Twitter und Facebook stehen wir an einem interessanten Wendepunkt. Die Sozialen Netze – jedenfalls Facebook – sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Diejenigen, die den meisten Nutzen daraus ziehen (nämlich die „Heavy User“), haben sicher auch am meisten mit den Nachteilen zu kämpfen. Das geht soweit, dass derjenige, der wirklich in allen relevanten Netzen auf Ballhöhe bleiben will, den ganzen Tag über eigentlich nichts anderes zu tun braucht. Und wofür? Um auf Ballhöhe zu sein, also: L´Art pour l´Art. Ich bin gespannt, wie sich die Dinge von hier aus weiter entwickeln, und ob es vor allem wirklich nochmal jemandem gelingt, den Müll aus unser aller Timelines zu fischen. Dann, davon bin ich überzeugt, haben die Sozialnetze eine zweite Chance, wirklich sozial zu werden.

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