Münchner Medientage: warum man nicht mehr hingehen muss

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=sV8N3B32AxE]Früher waren die Münchner Medientage, die jedes Jahr Ende Oktober stattfinden, für mich ein Fixpunkt in meinem Terminkalender. Im Kongresszentrum an der Münchner Messe in Riem gab es immer interessante Vorträge zu hören, und wer nicht da war, der hatte hinterher etwas verpasst. Aber das ist jetzt vorbei.
Und zwar aus zwei Gründen: erstens ist das, was von den wichtigen der Medienbranche ihr so erzählt wird, inhaltlich nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Dazu nur ein Beispiel: Telekom Chef René Obermann forderte diese Woche doch tatsächlich, dass Google für die Nutzung der Telekom Netze bezahlen sollte. Absurder, gestriger geht es nicht. Und ich muss wirklich nicht auch noch Geld dafür bezahlen und einen Tag Arbeitszeit opfern, um mir Leute anzuhören, die das Internet, die Social Media noch immer nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen.
Der zweite Grund ist ganz pragmatisch: ich kann mir die Medientage auch so anschauen. Ohne hinzugehen. Dazu genügt es, auf YouTube einfach mal den Suchbegriff Münchner Medientage einzugeben – und man kann sich viele Panels anschauen. Ob das will, siehe oben, ist eine andere Frage.
Noch viel schöner ist es, während der Medientage bei Twitter den Hashtag #mtm12 einzugeben – und schon kann man quasi live verfolgen, was wer in welcher Podiumsdiskussion gerade sagt. Das hat sogar noch einen Mehrwert gegenüber der persönlichen Anwesenheit, denn physisch kann ich ja immer nur gleichzeitig in einem Saal sein, auf Twitter dagegen bin ich überall.
Ich würde mal interessieren, ob das andere Leute auch zu sehen. Denn dann haben die Medientage ein potentielles Problem. Es würde mich in diesem Fall wiederum nicht wundern, wenn man anfangen würde, live twittern oder YouTube Videos verbieten zu wollen. Das würde in die alte Denke passen. Aber letztlich nichts helfen.

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Das wahre Problem der Paywalls bei Online-Zeitungen

Deutsch: Dr. Mathias Döpfner
Deutsch: Dr. Mathias Döpfner (Photo credit: Wikipedia)

Jüngst hat Springer-Chef Mathias Döpfner angekündigt, sein Haus denke ganz konkret darüber nach, bei den Online-Ausgaben der Springer-Medien eine Bezahlschranke nach dem Vorbild der „New York Times“ einzuführen. Dort kann man eine bestimmte Anzahl von Artikeln pro Monat kostenfrei lesen, bevor man sich dann entweder als Abonnent einloggen oder eben bezahlen muß.

Döpfner ist mit seinen Gedanken nicht alleine, sondern schwimmt in diesem Punkt eher im Mainstream.

Es gibt dabei allerdings ein Problem, das gerne übersehen wird. Der Journalismus der New York Times ist nämlich ein ganz anderer als derjenige einer typischen Regionalzeitung – und auch ein anderer als derjenige der BILD.

Große, nationale oder sogar übernationale Zeitungen wie die NYT haben einen sehr hohen Anteil an eigenrecherchierten Beiträgen, vulgo also exklusive Inhalte. Und wenn ich einen bestimmten Inhalt nur dort bekomme, dann bin ich vielleicht auch motiviert, zu bezahlen – allerdings: nur dann.

Wenn aber die journalistische Leistung eines Mediums nur darin besteht, eine Pressemitteilung abzutippen oder den Ausführungen irgendeines wichtigen Menschen angelegentlich einer Pressekonferenz gelauscht zu haben – dann brauche ich das entweder überhaupt nicht, oder ich bekomme es im Zweifelsfall auch anderswo, und zwar umsonst.

Viele Leute in den Medien haben noch nicht begriffen, dass der Bürgermeister heute keine Pressekonferenzen mehr braucht: Es gibt ja Twitter, Facebook und die eigene Homepage der Stadt. Als vor einiger Zeit die Berliner Hauptstadt-Journaille feststellen mußte, dass Regierungssprecher Seibert die Termine und Aussagen der Kanzlerin einfach direkt via Twitter ans Volk sandte (Seibert hat dort derzeit knapp 80.000 „Follower“), regte sich ein kurzer, aber völlig folgenloser Aufstand. Seibert twittert selbstverständlich weiter.

Alles in allem also: Die schöne Idee mit den Bezahlschranken wird nur dann funktionieren, wenn sich der Journalismus ändert. Und zwar so, wie es die neue Medienwelt gebietet: Weniger nachplappern von bereits Bekanntem, weniger Terminjournalismus, mehr Eigenrecherche, mehr eigene Themen, mehr Konzentration auf das wesentliche.

Das wird schwierig.

(Disclaimer: Ich bin bei einem regionalen Zeitungsverlag angestellt, dieser Beitrag gibt aber ausschließlich meine private Meinung wider.)

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Youtube greift das Fernsehen an

Nach einer Meldung von Heise.de von heute startet Google jetzt auch in Deutschland die ersten „Spartenkanäle“ auf Youtube. Laut Heise geht es dabei um Unterhaltung, Gesundheit, Sport, Comedy und Auto. Google wird zitiert mit der Aussage, man habe hier ein Interesse der User erkannt, das bis dato unbefriedigt geblieben ist. Die Refinanzierung der von „Content-Partnern“ produzierten Inhalte soll über vorgeschaltet Werbetrailer gelingen – und auch hier möchte Google neue Wege gehen, indem man nicht „irgendwelche“, sondern wie von Google AdWords bereits bekannt thematisch passende, also idealerweise „relevante“ Werbung anzeigt.

Konkret zu sehen ist freilich noch nichts – außer der eine oder andere 404er und leere Youtube-Channels. Aber dennoch darf man sich schon mal Gedanken darüber machen, warum Google nun eigene (oder eingekaufte, aber jedenfalls originäre) professionelle Inhalte auf Youtube anbietet.

Wer das tut, wird schnell darauf kommen: Es ist ein Angriff aufs traditionelle Fernsehen, insbesondere auf B- und C-Sender wie Vox, Kabel Eins, Dmax oder Tele4. Sie sind mit ihren teilweise sehr trashigen Formaten in genau den von Google genannten Themengebieten aktiv – und sie erreichen dort ein großes (Werbe-) Publikum.

Technisch gesehen gibt es ja schon lange keinen Grund mehr, „Das perfekte Dinner“ oder „Der Checker“ genau zu jener Uhrzeit anzuschauen, zu der sie im Programmablauf vorgesehen sind. Es kann also für die Fans wesentlich bequemer sein, auf ihre Lieblings-Inhalte dann zuzugreifen, wenn ihnen gerade danach ist. Außerdem kann man dann nicht nur eine Folge anschauen, sondern im Extremfall alles, was online verfügbar ist. Die Bemühungen der Sender, diesen Bedarf an On-Demand-Fernsehen über Portale mit bezahlpflichtigen Inhalten  oder über iTunes zu befriedigen, waren bislang nicht übermäßig erfolgreich.

Insonfern finde ich es extrem spannend, zu beobachten, wie diese Geschichte weitergehen wird und ob es Google gelingen wird, mithilfe seiner Themenkanäle auch noch in den lukrativen Markt der Fernsehwerbung einzubrechen – was sicherlich das große Ziel sein dürfte.

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Hilfe, mein Auto twittert (und facebookt)

Vergangene Woche habe ich etwas festgestellt, dass je nach Sichtweise faszinierend oder erschreckend ist: mein Auto kann Facebook und Twitter. Vom Hersteller gibt es eine App, die man auf dem Mobiltelefon installiert. Dort loggt man sich in das soziale Netzwerk der Wahl ein. Wird dann das Handy mit der Bordelektronik des Autos verbunden, kann man über die Lenkradtasten und das Display am Armaturenbrett twittern oder facebooken.
Das lenkt natürlich beim Fahren sehr ab. Außerdem wüsste selbst ich als großer Twitter-Fan nicht, weshalb ich bei 200 km/h auf der Autobahn meine timeline nachlesen sollte. Und schließlich kann man im Auto auch keine „richtigen“ Tweets verfassen, oder zumindest habe ich noch nicht herausgefunden, wie das geht. Das Auto macht lediglich ein paar einfache Vorschläge nach dem Motto „fahre gerade durch X-Stadt“ oder „ganz schön kalt in X-Stadt: nur 13Grad!“.
So richtig ausgegorenen ist das Ganze also noch nicht. Auf der anderen Seite ist es aber schon ganz schön spannend, darüber nachzudenken, was alles möglich ist, wenn nicht nur via GPS bekannt ist, wo ich mich aufhalte, sondern auch, wie schnell ich gerade fahre (zu schnell?), welche Musik ich höre, mit wem ich heute schon telefoniert habe, und wieviel Benzin mein Auto gerade verbraucht. Dass das nicht alles zwingend nur positiv ist, ist klar. Aber trotzdem bin ich gespannt, welche sinnvolle Anwendung aus dieser Spielerei eventuell eines Tages entsteht.

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Trauer in Zeiten von Social Media

[youtube=http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=vXCHiumnWno#!]Auf Golem.de steht heute ein sehr lesenswerter Artikel zu der Frage, wie sich die Trauer in den Zeiten von Social Media weiterentwickelt.

Klar ist: Die Traueranzeige als klassisches Mittel der Trauerarbeit hat Zuwachs bekommen. Wer heute stirbt, hinterläßt oft eine Facebook-Seite. Was liegt da näher, als diese Seite auch als Forum für die Trauer zu nutzen? Es gibt auch shcon die ersten Unternehmen, die aus dem Thema ein Geschäft machen und beispielsweise die Möglichkeit anbieten, auch nach dem Tod noch Geburtstagsglückwünsche zu verschicken (in der Hoffnung, dass der beglückwünschte nicht ebenfalls bereits tot ist…) oder Abschiedsbotschaften an Freunde und Verwandte zu schicken.

Ich bin zwiegespalten, was das Thema angeht. Sicherlich: Es ergeben sich auch hier neue Möglichkeiten, und das ist erstmal weder schlecht noch gut. Aber wenn ich lese, dass Psychologen dazu raten, dass Trauerarbeit auch irgendwann mal abgeschlossen sein muß, wenn man nicht psychisch schaden nehmen will – dann ist eine Traueranzeige vielleicht doch ganz gut. Denn sie erscheint einmal, und dann war´s das.

 

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Social Media für kleine Unternehmen: So könnte es aussehen

[vimeo http://www.vimeo.com/43914561 w=400&h=300] Ja, klar: Es ist ein Werbevideo von Hootsuite (das ich selbst im Einsatz habe und sehr gut finde, obwohl es immer noch nicht mit Google+ spricht), es sind die USA und eine Bäckerei ist vielleicht nicht das beste Beispiel. Aber dennoch zeigt der kurze Film, wie Social Media grundsätzlich funktioniert, und was man machen muß, um damit Erfolg zu haben. Viel Spaß!

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Thalia verkauft E-Books im Laden

Die Geschichte wirkt auf mich ein bißchen wie der alte Onliner-Witz: „Wußtest Du?“ – „Was???“ – „Bauern können jetzt ihre Felder auch online bestellen!“

Tja.

Also: Die deutsche Buchhandelskette Thalia ist jetzt auf die großartige Idee gekommen, E-Books auch in ihren Ladengeschäften zu verkaufen. E-Books. Also Daten. Körperloses Zeug. Bits und Bytes.

Was das soll? Nach Thalias eigenen Worten steht dahinter die „engere Verbindung des Off- und des Online-Bereichs“. Der O-Ton lautet:

Neben der Übertragung buchhändlerischer Kompetenz in den digitalen Bereich sollen umgekehrt auch die digitalen Angebote stärker im stationären Buchhandel repräsentiert werden.

Konkret heißt das (im Moment): Die Thalia-Buchhändler geben „wertvolle Tipps“, diese kann ich heute schon auf der Thalia-Homepage abrufen, künftig dann offenbar auch über Thalia-eigene Apps. Bei meinem Test gestern abend legte mir eine Mitarbeiterin der Thalia-Filiale in Erlangen die DVD zu „Der Gott des Gemetzels“ ans Herz.

Und da sind wir schon beim Problem: Die Empfehlungen sind nicht personalisiert. Denn den Film (und neulich auch die Theater-Version an den Nürnberger Kammerspielen) habe ich natürlich schon längst gesehen, der Tipp geht also komplett an mir vorbei. Das Ganze ist damit leider ein Denkfehler: Natürlich funktioniert es, wenn mir mein lokaler Buchhändler des Vertrauens, der mich kennt und der weiß, was ich gerne lese, von Angesicht zu Angesicht ein Buch empfiehlt. Nur: Erstens erfüllt diese Funktion online ganz wunderbar der Empfehlungs-Algorithmus von Amazon. Und zweitens funktioniert das Thalia-Modell eben nicht mehr, wenn mich der Buchhändler nicht mehr kennt, sondern seine Empfehlung nur anonym auf irgendeiner Internetseite abgibt.

Denn letztlich sind wir hier beim alten Sender-Empfänger-Modell der Massenmedien, also der Hit-Ökonomie – und damit müssten diese Tipps, um zu funktionieren, einen kleinsten gemeinsamen Nenner aller Thalia-Kunden bedienen. Und diesen gemeinsamen Nenner könnte eine Datenbank viel besser herausfinden als ein Mensch, der naturgemäß eine viel beschränktere Datenbasis hat.

Wohlgemerkt: Ich liebe Buchläden, ich habe (Dislaimer!!!) Literaturwissenschaft studiert, ich liebe also auch Bücher und ich lese sehr viel. Aber was Thalia hier macht, ist das unreflektierte kopieren eines Modells aus der Analog-Welt ins digitale. Und das kann nicht funktionieren, das kann auch nicht die Zukunft sein.

Für die „E-Books aus dem Laden“ gilt im Grunde genommen genau das gleiche: Es ist ja gerade der Charm von Dingen wie Amazons Kindle-Store, dass ich immer und überall darauf zugreifen kann, dass ich eben NICHT in irgendeinen Laden gehen muß, sondern mir meinen nächsten Krimi genau dann – meinetwegen Nachts um halb zwölf oder im Urlaub in Rimini, wenn mir gerade langweilig ist – auf den E-Reader lade. Also hat Thalia auch hier leider das Thema verfehlt.

Und ein letztes: Eine Suche nach „Thalia“ bei Twitter und Facebook ergibt – nichts. Offenbar ist eine Thalia-Filiale in Innsbruck vorgeprescht und nutzt beide Sozialmedien sogar recht geschickt. Aber Thalia Deutschland oder irgendeine deutsche Filiale ist nicht zu finden. Leute: Da brauche ich keine App, das könnt ihr euch sparen. Es wäre doch gar nicht so schwer, einfach die vorhandenen und etablierten Sozialmedien zu nutzen! Schade, dass ihr es nicht hinkriegt. (SIEHE KORREKTUR UNTEN!!!)

Unter dem Strich erinnern mich die hilflosen Thalia-Aktivitäten an die 90er Jahr. Da konnte man in Nürnberg beim damals größten Buchhändler der Stadt, der Firma Hugendubel, im ersten Stock an einen dort aufgestellten Rechner gehen und sich irgendwelche Shareware-Programme auf Disketten ziehen. Diese Disketten wurden dann an der Kasse bezahlt, dann konnte man sie nach Hause tragen und dort auf dem Rechner installieren.

Hugendubel in der Nürnberger Fußgängerzone ist seit 2011 geschlossen.

KORREKTUR/UPDATE

26.06.2012: Auf diesen Blogbeitrag hin hat mich schon vor einiger Zeit Thalia.at kontaktiert und mir mitgeteilt, dass es in der Tat im Gegensatz zum oben gesagten sehr viel Präsenz von Thalia in den Sozialmedien gibt. Ich werde das jetzt alles sichten und demnächst hier im Blog darüber berichten.

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„Google Local“: Jetzt wird Google+ lokal – und Google wird „social“

[slideshow]In den letzten Tagen hat Google seinen neuen Dienst „Google Local“ innerhalb von Google+ sukzessive für alle User freigeschaltet. Ich habe mir die Sache mal angeschaut.

Das Prinzip von Google Local ist zunächst eine Verknüpfung mehrerer bereits vorhandener Google-Dienste: Aus „Search“ kommen die Grunddaten („griechisches Restaurant in Nürnberg„), aus Picasa und Maps ergänzende Infos (so ist ja auch das „normale“ Google mehr und mehr aufgebaut; auch hier gibt es zunehmend ALLE möglichen Infos zu einem Suchbegriff an einer Stelle). Dazu kommen jetzt aus Google+ noch alle Arten von User Generated Content: Bewertungen (es gibt ein Punktesystem) und Userkommentare.

Das hat mehrere Auswirkungen:

  1. Insgesamt ergibt sich ein Info-Mix, der für andere lokale Anbieter wie z. B. Zeitungsverlage und Telefonbuch-Verlage sehr gefährlich werden könnte (Disclaimer: Mein Arbeitgeber Verlag Nürnberger Presse betreibt mit nordbayern.de ebenfalls einen Dienst, der z. B. lokale Gastronomie-Informationen anbietet)
  2. Google+ erhält endlich mal ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Erzrivalen Facebook, der dem Dienst derzeit nichts entgegenzusetzen hat.
  3. Es wird ein Umfeld geschaffen für regionale Vermarktung – das ist (zumindest in Deutschland) eines der letzten Felder im Online-Werbemarkt, die Google (noch) nicht besetzt.

Im Moment sind das alles noch (s. Screenshots) zarte Anfänge. So ist etwa unter „Kneipen“ die Bar eines fünf-Sterne-Hotels ebenso zu finden wie ein Etablissement der evangelischen Kirche – und die „besten Griechen“ bei Google+ Local sind auch nicht unbedingt die, die man als Eingeborener Nürnberger so empfehlen würde. Aber dennoch wird man Google Local nicht aus den Augen lassen dürfen.

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Twitter und die Wall Street, oder: Wenn Algorithmen Meinung machen

In einem sehr kenntnisreichen Artikel diskutiert das neue Wissensmagazin „limn“ eine Frage, die in der Diskussion um die Macht von Social Media gerne untergeht: Die Frage nämlich, wie sehr unser Meinungsbild (und übrigens auch unsere persönliche Nachrichtenlage) heute schon von Algorithmen, also Automaten bestimmt wird.

Bekanntestes Beispiel für den Effekt ist Facebook. Kein Mensch kapiert mittlerweile mehr, nach welchen Gesetzmässigkeiten die Posts der eigenen Facebook-Freunde angezeigt werden – oder eben auch nicht. Eli Pariser hat das in einem sehr schönen TED-Talk sehr gut beschrieben und den Effekt „Filter-Bubbles“ genannt: Nehmen wir mal an, ich selbst bin politisch auf der Linie der SPD. Unter Meinen Facebook-Freunden sind genau 50% SPD-Anhänger, die anderen 50% sind alle CDU-Anhänger. Was wird passieren? Weil das meiner eigenen Meinung eher entspricht, werde ich vermutlich häufiger auf die Postings der SPD-Anhänger klicken als auf diejenigen der CDU-Anhänger. Was macht Facebook daraus? „Aha!“, sagt der Algorithmus, „dieser User klickt offensichtlich häufig auf diese Postings und nicht auf die anderen“. Und, schwupps, schon verbirgt der Algorithmus mehr und mehr Postings meiner CDU-Freunde – und meine (Facebook-)Welt wird immer SPD-lastiger. Abweichende Meinungen bekomme ich nicht mal mehr zu Gesicht.

Wollen wir das?

Na ja: sicherlich nicht. Aber es ist halt mal wieder ein richtig schön klassischer Zielkonflikt – erstens. Denn angesichts der immer größer werdenden Informationsflut ist es ja nicht nur ein legitimes, sondern mittlerweile fast überlebenswichtiges Anliegen, wichtiges von unwichtigem möglichst per Automation schon an einem Punkt zu unterscheiden, bevor ich mir das alles überhaupt anschauen muß. Heißt also: Eigentlich ist der Effekt gewollt, und eigentlich ist der Filterprozeß auch wünschenswert.

Aber zweitens ist dennoch die Erkenntnis wichtig (und neu), dass Algorithmen im Social Web plötzlich in ihrer Eigenschaft als Instrumente der Informationsfilterung zwangsläufig zu Instrumenten der (politischen) Meinungsbildung werden. Und, klar: In diesem Sinne wären sie auch durch ihren Urheber manipulierbar. Also, mal ein blödes Beispiel: Wenn Facebook aus irgendeinem Grund wollte, dass nicht Barrack Obama, sondern Milt Romney der nächste Präsident der USA wird – dann wäre ein naheliegender Weg zu diesem Ziel, den Facebook-Algorithums so zu verändern, dass die ja doch einigermaßen zahlreichen Facebook-User von Obama einfach nichts mehr zu sehen bekommen. Zukunftsmusik? Vielleicht. Aber theoretisch möglich. Und man muß sich auch an dieser Stelle einfach immer klarmachen, dass alle großen Player auf dem Feld der Social Media nun mal Wirtschaftsunternehmen sind, die logischerweise auch wirtschaftliche Interessen verfolgen. Und wirtschaftliche Interessen sind immer auch politisch.

Ein dritter Punkt kommt dazu: Zwar liegt die Funktionsweise eines Algorithmus natürlich in der Hand seines Urhebers. Aber: Man kann die Dinger spammen. Damit sind also auch Interessensgruppen in der Lage, zwar keine Informationen zu verbergen, aber gezielt Informationen in den Vordergrund zu rücken, die da vielleicht gar nicht hingehören. Auch dieser Aspekt muß bedacht werden.

Doch zurück zum Anfang. In dem von „limn“ diskutierten Beispiel geht es nicht um Facebook, sondern um einen sehr interessanten Mechanismus auf Twitter, nämlich die so genannten „Trending Topics„. Hier wird durch einen Algorithums ermittelt, welche „Hash-Tags“ (#wetter, #obama o.ä.) gerade besonders beliebt sind. Dabei geht es aber nicht nur darum, wie häufig der jeweilige Hash-Tag vorkommt, sondern beispielsweise auch darum, wie schnell seine Verwendung ansteigt, ob das gleiche Thema schon mal „Trending“ war und ob die Tweets zum Thema aus wirklich neuem Content bestehen oder ob sie nur Retweets (Weiterleitungen) eines bereits vorhandenen Tweets sind (Näheres dazu hier).  Im konkreten Fall hatten sich Aktivisten der „Occupy“-Bewegung darüber aufgeregt, dass ihr Hash-Tag #occupywallstreet bei Twitter nicht „getrendet“ hatte. Und sofort stand eine schöne neue Verschwörungstheorie im Raum: Twitter habe die Trends bewußt „zensiert“, weil es ein Wirtschaftsunternehmen sei, dessen Gewinnerzielungsabsicht letztlich den Zielen der Occupy-Bewegung zuwiderlaufe.

Doch so schön die Theorie ist, sie läßt viele ganz banale Ursachen für das „Nicht-Trenden“ außen vor:

  • Vielleicht war das Thema einfach doch nicht so interessant, wie die Aktivisten selber dachten
  • Vielleicht ist seine Popularität sehr hoch gewesen, aber nicht schnell gewachsen
  • Vielleicht waren einfach gerade andere Themen NOCH „trendiger“
  • Vielleicht waren zu viele Retweets im Spiel.

Das alles wären, wie gesagt, völlig legitime Erklärungen für den beobachteten Effekt. Ich denke also, die Frage der Zensur stellt sich (hier zumindest) vorerst nicht.

Aber noch ein weiterer Effekt der „Trending Topics“ ist interessant: Nämlich der einer teilweise selbsterfüllenden Prophezeihung. Denn alleine die Tatsache, dass ein Thema „Trending“ ist, führt ja dazu, dass es NOCH mehr gelesen wird. Das war sicherlich der Effekt, den die Occupy-Aktivisten sich erhofft hatten. Wenn man das weiterdenkt, wird damit letztlich ein Algorithmus zum Agendasetter, um nicht zu sagen: Zum Meinungsmacher.

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Fußball-EM: Der DFB hat das Internet verstanden

jogi löw

Wer den Verfasser dieser Zeilen auch nur ein ganz klein wenig kennt, der weiß: Das Thema Fußball geht an mir normalerweise völlig vorbei. Es interessiert mich einfach nicht. Aber dieser Tage komme ich trotz allem nicht umhin, mich mit der deutschen Nationalmannschaft unter Bundestrainer Jogi Löw zu beschäftigen. Genauer gesagt: Mit deren Kommunikations-Strategie.

Die nämlich hat sich nun schon seit einer Weile geändert: In der Vergangenheit gab es noch relativ viele Pressekonferenzen auch in den Trainingslagern der Nationalmannschaft, die Spieler sprachen am Rande der Trainings häufiger mal mit Journalisten und plauderten aus dem Nähkästchen.

Das ist mittlerweile komplett vorbei, wie man am aktuellen Fall gut sehen kann: Gestern schickte Jogi Löw vier Spieler aus dem Trainingslager in Südfrankreich nach Hause. Was die aussortierten darüber denken, konnte man ausschließlich einer einzigen Quelle entnehmen: Der Website des DFB, die dann auch von Medien wie dem Bayerischen Rundfunk oder Spiegel online brav zitiert wurde.

Die alte Tante DFB offenbart hier ein erstaunlich tiefgreifendes Verständnis des Mediums Internet: Die Verantwortlichen haben offenbar klar verinnerlicht, dass sie keine „externen“ Massenmedien mehr brauchen, um ihre Botschaft an die Leute zu bringen. Natürlich ist es viel kommoder, die Aussagen der Nationalspieler auf diese Art unter kompletter Kontrolle zu haben, als wenn die sich irgendeinem externen Medium gegenüber eventuell unbotmäßig äußern. Neutrale, gar kritische Berichterstattung kann man so natürlich erst mal vergessen.

Ganz nebenbei erzeugt man auf diese Art natürlich noch jede Menge Zugriffe auf die DFB-Website. Das Angebot ist zwar (noch) nicht bei der offiziellen Online-Reichweitenpolizei Infonline registriert – aber die auch auf der oben erwähnten DFB-Seite platzierte Werbung von Coca Cola hat man der Brausefirma sicherlich nicht für umme angeboten.

Wenn man das, was der DFB hier beginnt, aber andere wie etwa Regierungssprecher Steffen Seibert via Twitter auch schon längst betreiben, mal zu Ende denkt, dann ist es nichts weniger als eine Revolution: Immer mehr Themen finden ihre Leser ohne „Medium“, sprich: Der Absender einer Botschaft, sei es nun der DFB oder Bundeskanzlerin Angela Merkel, kann selbst und ohne weitere Hilfsmittel eine beliebig große Öffentlichkeit erreichen. Und den klassischen Medien bleibt nichts anderes mehr übrig, als sich als fünftes, weil komplett überflüssiges Rad an diesen Wagen mit anzuhängen. Aber eigentlich braucht man sie nicht mehr.

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