Journalismus der Zukunft: seid mutig!

Fakten sind Müll, sagt Constantin Seibt. Der Schweizer Journalist ist nach Berlin auf die re:publica gekommen, um über die Zukunft der Zeitung zu sprechen. Aber er beginnt erst mal mit der Vergangenheit: Damals, sagt Seibt, sei die wichtigste Aufgabe im klassischen Journalismus gewesen, einfach nur nichts falsch zu machen. Wer das schaffte, hatte keine Probleme: die Abonnenten waren zufrieden, weil sie nicht aufgeregt wurden. Langeweile als Existenzberechtigung: Goldene Zeiten.

Doch die sind lange vorbei. Seit es das Internet gibt, sind Nachrichten keine Ware mehr: es gibt sie überall, und es gibt sie umsonst. Und auch Meinung, so sagt Seibt ein Stück weit überraschend, kann kein Alleinstellungsmerkmal mehr sein. Sie sei zu beliebig, zu leicht herzustellen. stattdessen, meint er, müssten Zeitungen etwas entwickeln, das deutlich weiter geht als Meinung: Haltung.

Er meint das im Sinne einer tiefer reflektierten, durchdachteren Form von Standpunkt, als es der kleine Kommentar auf Seite 2 auszudrücken oder zu leisten vermag.

Es ist das eine These, die für den überregionalen Journalismus sicher in weit stärkerem Ausmaße gilt als für die klassische Lokalzeitung. Dennoch aber lohnt es sich, darüber nachzudenken. Denn letztlich ist einer der wichtigsten Gründe für den oft überraschenden Erfolg von nicht formal als Journalisten ausgebildeten Bloggern genau jenes stärkere Engagement für Themen, Akteure und Ziele, das sich der klassische Journalismus, sicherlich oft zurecht, selbst verbietet.

Hier brauchen wir vielleicht sogar eine neue Ethik des Journalismus, die die klassische, im deutschen Pressekodex niedergelegte Zurückhaltung dort aufgibt, wo man sich mit dieser Aufgabe nicht gleichzeitig noch weit größere Probleme an anderer Stelle erkauft. Das ist eine ebenso wichtige wie gefährliche Überlegung, die man mit allem zu Gebote stehenden Fingerspitzengefühl anstellen muss.

Eines jedoch ist sicher: wenn alles so bleibt, wie es ist, dann bleibt es nicht.

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Die Paywall der Rhein-Zeitung: Ohne Phantasie

rheinzeitungSeit gestern ist es soweit: Die Koblenzer  „Rhein-Zeitung“, einer der Internet-Pioniere in der Branche, hat jetzt eine Paywall.

Genau gesagt: eine Paywall mit Löchern drin. Denn 10 Artikel darf weiterhin jeder pro Monat kostenlos lesen, auch die so genannten „Mantel-Inhalte“, also alles Überregionale, bleiben frei zugänglich, ebenso alles, was bei Facebook oder Twitter gepostet wird. Im Endeffekt steht die Mauer also nur vor den lokalen Inhalten. Das ist, wenn man es genau betrachtet, fast genau das gleiche Modell, wie es auch die „New York Times“ gewählt hat. Auch dort ist nach 10 Artikeln erstmal Schluß.

Dieses Modell hat aus meiner Sicht zwei ganz klare Sollbruchstellen.

  1. Wer sagt, dass der elfte Artikel, den ich gerne lesen möchte, ausgerechnet so hammermässig spannend ist, dass ich für genau diesen Artikel über die „Paywall“ springe? In der aktuellen Online-Ausgabe der Rheinzeitung sind im Lokalteil unter anderem auch Themen wie „Foto-Freunde präsentieren Kräuter-Impressionen im Stöffel-Park“ (???) im kostenpflichtigen Bereich. Sowas lese ich vielleicht im Vorbeigehen, wenn ich gerade nichts besseres zu tun habe – aber zum Portemonnaie greife ich hier nicht. Bei anderen Geschichten – wie etwa der Seilbahn in Koblenz oder der Sache mit Amazon und den Tarifverträgen für die Mitarbeiter vielleicht schon eher. Ich frage mich deshalb, ob nich ein Paywall-Modell besser wäre, das auf irgendeine Weise den „Nachrichtenwert“ (ich weiß schon, den kann man nicht objektiv messen) einer Geschichte berücksichtigt.
  2. Die Struktur einer deutschen Regionalzeitung ist grundlegend anders als die eines Weltblattes wie der „New York Times“. Zum Beispiel hängt das Geschäft eines regionalen Verlages immer in hohem Maße (print wie online) an den Anzeigenrubriken. Die aber kann man online gar nicht absperren, weil es in allen klassischen Rubriken (mit Ausnahme der Todesanzeigen) viel, auch viel kostenlose, Online-Konkurrenz gibt. In einem weiteren wichtigen Feld, dem lokalen Sport, verhält es sich genauso. Ich frage mich deshalb, ob eine so löchrige, so „kleine“ Paywall wie die in Koblenz nicht doch eher symbolischen Charakter hat. Ein richtig schlaues, richtig neues Modell kann ich jedenfalls nicht darin erkennen.

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Die Paywall bei der „Bild“: Ich versteh´ sie nicht

Groß war sie angekündigt worden: Die so genannte „Paywall“ bei der elektronischen Variante der Bild-Zeitung: Seit 11. Juni muß man nun für einige Inhalte der Homepage Geld bezahlen. Die Abomodelle reichen dabei von 99 Cent (im Testzeitraum, später 1,99) im Monat bis zu über zehn Euro für das Komplettpaket inklusive Bundesliga.

Allein: Ich verstehe das Ganze nicht.

Um die Reichweite (und damit die Werbe-Erlöse, die sich aus den Klickzahlen auf die Seiten speisen) nicht zu gefährden, ist weiterhin das meiste kostenlos zu lesen – unter anderem auch das berühmte „Bild-Mädchen“. Bei meinem Test war beispielsweise die gesamte Berichterstattung über die „Jahrhundert-Flut“ frei zugänglich. Ein Bericht über den Aleppo-Besuch des Schauspielers Jan Josef Liefers (der „Professor Börne“ aus dem Tatort) jedoch nicht. Ein kurzer Gegen-Check bei Google ergab: Auch der Link von dort auf den „Bild“-Bericht ist gesperrt (das ist anders als etwa bei der New York Times, wo Links von Google und aus sozialen Netzwerken grundsätzlich immer offen sind). Allerdings: Eine einfache Google Suche nach den Begriffen „Liefers Aleppo“ ergabe zahlreiche weitere Berichtet zum Thema, etwa vom Kölner Stadtanzeiger, die natürlich frei zugänglich waren.

Damit komme ich nicht umhin, eine ähnliche Schlußfolgerung zu ziehen wie vergangene Woche schon Thomas Knüwer auf dem Blog „Indiskretion Ehrensache“: Das Ganze scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt (noch) relativ unausgegoren. Es macht keinen Sinn, Inhalte zu sperren, die ich genauso oder ähnlich über eine einfache Google-Suche woanders finden kann. Und Inhalte, die ich nicht so leicht woanders finden kann, sehe ich bis dato auf Bild.de allenfalls aus dem Ressort „Das Reich der Seltsamkeiten“: Für die Geschichte zum Thema „Was Sie tun müssen, um 100 Jahre alt zu werden“ würde ich nicht mal 99 Cent zahlen – darüber schlapp lachen kann ich mich auch so.

Die Tragik an der Geschichte mit der „Bild+“ genannten Bezahlschranke: Es wird ein an sich aus Sicht der Verlage absolut wichtiges Unterfangen, nämlich die Refinanzierung der Inhalte über direkte (also nicht Werbe-) Erlöse zu verbessern, deutlich zurückgeworfen. Wenn die Verantwortlichen nicht schnell nachbessern, werden sich andere Verlage an das Thema mit Sicherheit noch weniger herantrauen als bis dato.

(Disclaimer: Ich bin bei einem deutschen Regionalzeitungsverlag angestellt. Die hier geäußerte Meinung ist jedoch meine private und nicht die meines Arbeitgebers)

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Tesla – New York Times: 1:1

Tesla Grand Opening in Menlo Park - Tesla Chai...

Eine Geschichte wie diese wäre noch vor 10 Jahren praktisch unmöglich gewesen: Da schreibt ein Journalist der hoch angesehenen New York Times einen Bericht über das Elektro-Auto Tesla „Model S“. Sein Fazit: Bei kälteren Temperaturen leere sich der Akku des Gefährts praktisch über Nacht, das Laden dauere stundenlang und außerdem komme man mit dem Auto nicht so weit, wie es die Bordelektronik anzeigt. Das Ganze gipfelt in einem Bild des Tesla auf dem Abschleppwagen, weil unterwegs der Akku schlappgemacht habe.

So weit, so schlecht. Normalerweise hätte die Geschichte hier geendet. Tesla (und deren berühmt-berüchtigter Chef Elon Musk, im Bild oben) hätten jetzt bei der „Times“ anrufen können, etwaige Anzeigenaufträge stornieren und vielleicht einen Leserbrief schreiben können. Interessiert hätte das aber wohl kaum jemanden.

Doch wir leben im Jahre 2013, und da sind Firmen längst nicht mehr so wehrlos gegen mißliebige Medienberichte wie früher. Also griff Musk höchstselbst in die Tasten und schilderte fürs firmeneigene Blog unter dem Titel „A most peculiar test drive“ („eine höchst seltsame Testfahrt“) seine (Teslas) Sicht der Dinge: Man habe sämtliche Fahrzeugdaten während der gesamten Testfahrt des Reporters mitgeloggt, verrät er den erstaunten Lesern.

So könne man etwa nachweisen, dass der Reporter viel schneller (und damit verbrauchsintensiver) gefahren sei, als er es in seinem Artikel geschrieben hatte. Außerdem habe er den Akku zu kurz geladen und sei wieder losgefahren, obwohl die Reichweiten-Anzeige ganz klar gezeigt hätte, dass für die geplante Strecke zu wenig Strom im Akku war. Das Ganze gipfelt in der Behauptung (und der Abbildung einer Grafik zum „Beweis“), der Reporter sei sogar eine halbe Stunde lang auf einem Parkplatz im Kreis gefahren, um mutwillig den Akku zu leeren. Das sind wahrhaft deftige Vorwürfe, die jeden ehrbaren Journalisten auf der Welt schwer ins Grübeln bringen müssen und die eine fristlose Kündigung wert wären, wenn sie denn stimmten.

Aber die Geschichte geht noch weiter: Jetzt hat sich auch der Times-Journalist zu Wort gemeldet – ebenfalls in einem Blogeintrag. Und, o Wunder, natürlich hat er für alle Musk-Vorwürfe absolut einleuchtende Erklärungen.

Wir lernen hier zweierlei:

  1. Es herrscht Waffengleichheit zwischen den „ehemaligen Massenmedien“ und den Firmen, über die sie berichten (bei Privatleuten ist das noch nicht so, jedenfalls nicht in Deutschland). Die ehemaligen Massenmedien müssen sich darauf einstellen, dass ihre Berichte nicht länger unwidersprochen bleiben und sie nicht länger zwangsläufig am längeren Hebel sitzen. Im Besten Falle heißt das nichts anderes als: Sie müssen noch mehr darauf achten, ihren Job ordentlich zu machen.

  2. Die Waffengleichheit führt dazu, dass ausgebildete Journalisten, die (zumindest sollte das so sein) ihren Job gelernt haben und einen gewissen Ehrenkodex befolgen, auf absoluter Augenhöhe sprechen mit Leuten, auf die beides nicht zwingend zutrifft. Unabhängig davon, wer im vorliegenden Falle recht hat: Diese Konstellation führt im Zweifel dazu, dass das geneigte Publikum noch weniger Chancen hat als vorher, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Und das ist gefährlich.

 

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Warum die NYT-Paywall die falschen Löcher hat

Image representing New York Times as depicted ...

„Leaky Paywall“ – das ist das Schlagwort, mit dem die New York Times in der Verlagsbranche weltweit Furore gemacht hat: Inhalte aus der Zeitung sind im Internet kostenpflichtig – außer, sie werden über Soziale Netzwerke geteilt oder sonstwie verlinkt.

Deutsche Verlage wie etwa Springer sind gerade dabei, das Modell zu kopieren. Dabei hat es eine tödliche Schwäche.

Sicher: „Digitale Immigranten“ aus der Zeitungsleser-Generation 60+ werden vielleicht dazu zu bewegen sein, für Online-Inhalte genauso zu bezahlen, wie das bei Apps mittlerweile Usus ist. Es mag auch sein, dass sich hier kurzfristig einige Abos generieren lassen und in den Vertriebsabteilungen Hoffnung keimen wird.

Das Problem ist nur: Die „Digital Natives“ unter 40 nutzen Medien ganz anders. Sie suchen nicht nach Nachrichten, sie lesen keine Zeitung, weder in Print noch online. Sie warten, um das berühmte Zitat von Chris Anderson zu paraphrasieren, „dass die Nachrichten zu mir kommt“. Sprich: Ihr einziger Zugang zu News sind genau die Feeds auf den Social Media.

Diese Menschen nutzen Nachrichten nur dann, wenn sie im Facebook-Newsfeed oder der Twitter-Timeline angeteasert werden. Aber genau diese Teaser zeigen ja auf die Löcher in der Paywall, wer hier klickt, zahlt nach den Modellen der New York Times und ihrer Epigonen genau – nichts. Warum Verlage wie die „Times“ damit ihre Inhalte der strategisch wichtigsten Zielgruppe – nämlich der Zielgruppe der Zukunft – weiterhin schenken? Ich weiß es nicht.

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Disclaimer: Ich bin bei einem Zeitungsverlag angestellt. Die hier geäußerten Ansichten sind jedoch meine private Meinung und nicht die meines Arbeitgebers.

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GEZ: Kriegen wir ein Fernseh-Ministerium?

Head of ZDF in Mainz, Germany.

In einem sehr lesenswerten Beitrag setzt sich die „WELT“ mit der neuen „Rundfunkgebühr“ auseinander. Das Prinzip ist ja mittlerweile bekannt: Seit 1. Januar zahlen wir nicht mehr dafür, dass wir fernsehen – sondern eigentlich dafür, dass wir wohnen. Sprich: Die Frage, ob jemand Rundfunkgebühr zahlt, hängt nicht mehr wie früher davon ab, ob er oder sie überhaupt ARD oder ZDF (im Bild: Die Zentrale in Mainz) guckt.

Das Prinzip dahinter erinnert natürlich schon sehr stark an die Steuerfinanzierung anderer Aufgaben: Die Frage, ob mit meinen Steuergeldern Spielplätze gebaut werden, hängt nicht davon ab, ob ich Kinder habe.

Deshalb macht der WELT-Autor auch den Vorschlag, die Rundfunkgebühren durch eine Steuerfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender zu ersetzen. Denn, nur mal nebenbei bemerkt, deren Jahresetat ist mittlerweile um ein paar Milliarden größer als etwa der des Berliner Familienministeriums.

Dieser Vorschlag hätte für mich noch eine Reihe weiterer Vorteile.

  1. Das jetzige Verfahren ist ein Win-Win-Lose-Modell: Die Sender definieren nach Art eines Wunschzettels, wie viel Geld sie denn gerne hätten (win), die Politik genehemigt das Ganze (win), aber der Verbraucher, der alles bezahlt, hat keinerlei Einfluß auf die Höhe der Gebühr oder die Frage, was damit passiert (Lose).
  2. Wenn man schon anfängt, Journalismus (nämlich den öffentlich-rechtlichen) mit Steuern zu finanzieren, könnte man auch noch den einen oder anderen Schritt weitergehen. Beispielsweise ließe sich dann die Frage vielleicht etwas eleganter lösen, ob und wie es auch im Internet eine Art staatlich finanzierte „Informations-Grundversorgung“ der Bürger geben soll. Bislang machen das ARD und ZDF sehr aufwändig (und jeweils doppelt) in Konkurrenz zu nicht gebührenfinanzierten (also für den Steuerzahler „kostenlosen“) Angeboten privatwirtschaftlich finanzierter Medien
  3. Verwandte Fragen wie etwa das geplante Leistungsschutzrecht für die Inhalte privater Medien könnten im selben Atemzug behandelt werden – zwar wären das dann streng genommen Subventionen, die man an anderer Stelle mühsam abbaut, aber durch die Ansiedlung etwa in einem „Medien-Ministerium“ (das man natürlich sauber konstruieren müsste, allen schon deshalb, um Parallelen mit dem „3. Reich“ vorzubauen) ließe eine bessere Austarierung der Interessen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien zu.
  4. Die Konstruktion böte die Chance, auch „neue“ Medien wie etwa die Social Media ebenfalls staatlich mit zu begleiten. Es besteht derzeit hier ja das Problem, dass alle großen Social Media in den USA ansässig sind und sich damit deutscher Rechtsprechung weitgehend entziehen – die leidige Dauer-Diskussion um den Datenschutz bei Facebook ist die Folge. Da aber andererseits für das Gros der deutschen Bevölkerung heute Facebook quasi ebenso zur informationellen „Grundversorgung“ gehört wie ARD und ZDF, könnte man darüber nachdenken, auch diese Grundversorgung staatlich sicherzustellen. Und zwar auf eine Art, die deutschen Bestimmungen entspricht.

Man sieht also: Eine grundsätzlich veränderte Konstruktion der Finanzierung von ARD und ZDF böte tatsächlich viele Chancen, das Modell der öffentlich-rechtlichen Informationsversorgung, das im Grunde aus der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammt, gründlich zu überarbeiten und auf die Höhe der Zeit zu bringen. Das Ganze hat nur einen Nachteil: Es wird nicht passieren.

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„Nextdoor“: Social Nachbarschaft

screenshot_nextdoorDie Welt der Social Media wird immer lustiger: Mit „Nextdoor“ gibt es jetzt eine Plattform, die noch viel tiefer in unseren Alltag eindringen möchte als Facebook oder Twitter. Denn jetzt sollen wir uns auch noch mit unseren Nachbarn elektronisch vernetzen.

Mal abgesehen davon, dass einer der Kernsätze der Netzwerktheorie sehr dagegen spricht, dass das funktioneren kann. Denn: Meine Nachbarn kenne ich ja bereits, zumindest ich persönlich sehe sie auch fast jeden Tag (das mag in amerikanischen Suburbs allerdings anders sein) und weiß eh meistens nicht, was ich während der gemeinsamen Aufzugsfahrt eigentlich reden soll.

Die Netzwerktheorie spricht hier von so genannten „strong links“ – also starke soziale Verbindungen. Der Begriff steht zum einen für Leute, mit denen ich sehr intensiv zu tun habe, wie etwa Familie und Partner. Er benennt aber auch Leute, die ich bereits IRL so häufig treffe, dass ich jeglichen notwendigen Informationsaustausch nebenbei locker erledigen kann.

Aber wie gesagt: Davon mal ganz abgesehen. Nach einem Insiderbericht von Jeff Jarvis macht die Site noch mehr Fehler. So bekommen User etwa zu hören, sie hätten „zu wenige Nachbarn“ – klar: Ein soziales Netzwerk braucht immer eine gewisse „kritische Masse“ , um zu funktionieren. Mit anderen Worten: Eine Grillparty mit drei Leuten ist keine Grillparty, denn bei drei Leuten kommt keine Stimmung auf. Damit ist der Hunger der Plattform nach „mehr Nachbarn“ verständlich – er nützt nur dem User nichts, der nun zwanghaft wildfremde Leute zu „Nachbarn“ erklären muß, nur, um mitspielen zu dürfen.

So ist also zu vermuten, dass „nextdoor.com“ sehr bald den Weg alles irdischen gehen wird – und das ist schade.

Das Thema „Nachbarschaft ist nämlich durchaus ein sehr interessantes, jedenfalls aus journalistischer Sicht: Fachleute nennen es hochtrabend „Das Sublokale“ und meinen damit jenes unmittelbare räumliche Umfeld, in dem wir uns täglich bewegen, das also für uns besonders relevant ist. Und das klassische Tageszeitungen meist nicht abdecken (können), weil das, was hier so los ist, oft schon drei Straßen weiter nicht mehr interessant genug ist.

Weil sublokales also „in Print“ nicht funktioniert, geistert das Thema schon seit Jahren auf allen einschlägigen Visionärs-Konferenzen als neues großes Ding herum. Und tatsächlich: Wenn man sich einmal genauer anschaut, was auf Facebook so gepostet wird (und Instagram ist vielleicht sogar ein besseres Beispiel), dann findet man neben den allgegenwärtigen Katzenfotos tatsächlich viel Inhalt aus der Nachbarschaft. Die spannende Frage ist nur, wie man diesen Inhalt vielleicht besser bündeln und nutzbar machen kann. Vielleicht wäre das in der Tat eine spannende Aufgabe für Zeitungsverlage. Solange die sich jedoch immer automatisch als „Produzenten“ von Inhalt sehen und das aggregieren, sammeln und nutzbar machen als irgendwie unter der Würde ansehen, wird das wohl nichts werden – mit nextdoor.com jedenfalls auch nicht.

(DISCLAIMER: Ich bin hauptberuflich bei einem Zeitungsverlag angestellt. Die hier geäußerte Meinung ist jedoch meine private und nicht die meines Arbeitgebers.)

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Leistungsschutzrecht: Google zeigt Wirkung

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=OvhrC2eWIxw&hd=1]Unter Bergsteigern gibt es eine alte Redensart: „Dem Berg ist es egal, ob ich ihn besteige“. Das bringt jenen Fatalismus zum Ausdruck, mit dem selbst Spitzenleute letztlich akzeptieren (müssen), dass bei allem Können immer ein Restrisiko bleibt, weil der Berg einfach immer größer ist als der Mensch.

Was das mit der aktuellen Diskussion um das Leistungsschutzrecht für deutsche Verlage zu tun hat?

Eine Menge.

Aber der Reihe nach: Seit vergangene Woche wird ein geplantes Gesetz sehr breit diskutiert, von dem der Laie zuvor vermutlich noch nie gehört hatte. Seit einiger Zeit schon versuchen deutsche Zeitungsverlage durchzusetzen, dass sie an den Erlösen beteilgt werden, die Google dadurch erwirtschaftet, dass es in seinen Suchergebnissen kurze Anreißer von Pressetexten veröffentlicht und dazu Werbung anzeigt. Das ist ein Thema, das für den berühmten Otto Normalverbraucher mutmaßlich keine lebensverändernde Wirkung haben wird – gleich, wie die Diskussion am Ende ausgeht. Bis vorige Woche konnte man der Meinung sein: OK, das werden Verlage, Gesetzgeber und Google unter sich ausmachen.

Wobei dem Suchgiganten Google hier natürlich die Rolle des Berges in dem obigen Spruch zukommt. Ich selbst hätte erwartet, dass der Quasi-Monopolist aus Kalifornien das Ganze mit einer gewissen Gleichmut an sich vorüberziehen lässt – denn auch für Google ist das Thema sicher nicht kriegsentscheidend.

Dachte ich.

Doch dann begann Google mit einem ziemlichen Aufstand: Sogar auf der Homepage der Suchmaschine versuchte man, mit Hilfe eines Youtube-Videos für den eigenen Standpunkt zu werben und bei den geneigten Usern für eine „Initiative gegen das Leistungsschutzrecht“ zu agitieren. Pikant war dabei übrigens am Rande, dass hier gerade der eh als Daten-Krake verschrieene Suchmaschinenkonzern fleißig Userdaten sammeln wollte, um „über das Thema zu informieren“.

Unter dem pseudo-dramatischen Titel „verteidige Dein Netz“ hängt Google das Leistungsschutzrecht zumindest sprachlich sehr hoch auf. Das wirkte zumindest auf mich etwas, na ja, hysterisch. Und ob Google mit einer derartig über-dramatisierten und deutlichst gefärbten Stellungnahme zur Versachlichung der Diskussion beiträgt, ist doch sehr die Frage.

Wie auch immer die Sache mit dem Leistungsschutzrecht am Ende ausgeht: Ich finde es schon mal äußerst spannend, dass es dem Berg Google offenbar so gar nicht egal ist, wer ihn besteigt.

(DISCLAIMER: Ich bin hauptberuflich bei einem Zeitungsverlag angestellt. Die hier dargestellte Meinung ist jedoch meine persönliche und nicht notwendigerweise diejenige meines Arbeitgebers.)

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Münchner Medientage: warum man nicht mehr hingehen muss

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=sV8N3B32AxE]Früher waren die Münchner Medientage, die jedes Jahr Ende Oktober stattfinden, für mich ein Fixpunkt in meinem Terminkalender. Im Kongresszentrum an der Münchner Messe in Riem gab es immer interessante Vorträge zu hören, und wer nicht da war, der hatte hinterher etwas verpasst. Aber das ist jetzt vorbei.
Und zwar aus zwei Gründen: erstens ist das, was von den wichtigen der Medienbranche ihr so erzählt wird, inhaltlich nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Dazu nur ein Beispiel: Telekom Chef René Obermann forderte diese Woche doch tatsächlich, dass Google für die Nutzung der Telekom Netze bezahlen sollte. Absurder, gestriger geht es nicht. Und ich muss wirklich nicht auch noch Geld dafür bezahlen und einen Tag Arbeitszeit opfern, um mir Leute anzuhören, die das Internet, die Social Media noch immer nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen.
Der zweite Grund ist ganz pragmatisch: ich kann mir die Medientage auch so anschauen. Ohne hinzugehen. Dazu genügt es, auf YouTube einfach mal den Suchbegriff Münchner Medientage einzugeben – und man kann sich viele Panels anschauen. Ob das will, siehe oben, ist eine andere Frage.
Noch viel schöner ist es, während der Medientage bei Twitter den Hashtag #mtm12 einzugeben – und schon kann man quasi live verfolgen, was wer in welcher Podiumsdiskussion gerade sagt. Das hat sogar noch einen Mehrwert gegenüber der persönlichen Anwesenheit, denn physisch kann ich ja immer nur gleichzeitig in einem Saal sein, auf Twitter dagegen bin ich überall.
Ich würde mal interessieren, ob das andere Leute auch zu sehen. Denn dann haben die Medientage ein potentielles Problem. Es würde mich in diesem Fall wiederum nicht wundern, wenn man anfangen würde, live twittern oder YouTube Videos verbieten zu wollen. Das würde in die alte Denke passen. Aber letztlich nichts helfen.

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Das wahre Problem der Paywalls bei Online-Zeitungen

Deutsch: Dr. Mathias Döpfner
Deutsch: Dr. Mathias Döpfner (Photo credit: Wikipedia)

Jüngst hat Springer-Chef Mathias Döpfner angekündigt, sein Haus denke ganz konkret darüber nach, bei den Online-Ausgaben der Springer-Medien eine Bezahlschranke nach dem Vorbild der „New York Times“ einzuführen. Dort kann man eine bestimmte Anzahl von Artikeln pro Monat kostenfrei lesen, bevor man sich dann entweder als Abonnent einloggen oder eben bezahlen muß.

Döpfner ist mit seinen Gedanken nicht alleine, sondern schwimmt in diesem Punkt eher im Mainstream.

Es gibt dabei allerdings ein Problem, das gerne übersehen wird. Der Journalismus der New York Times ist nämlich ein ganz anderer als derjenige einer typischen Regionalzeitung – und auch ein anderer als derjenige der BILD.

Große, nationale oder sogar übernationale Zeitungen wie die NYT haben einen sehr hohen Anteil an eigenrecherchierten Beiträgen, vulgo also exklusive Inhalte. Und wenn ich einen bestimmten Inhalt nur dort bekomme, dann bin ich vielleicht auch motiviert, zu bezahlen – allerdings: nur dann.

Wenn aber die journalistische Leistung eines Mediums nur darin besteht, eine Pressemitteilung abzutippen oder den Ausführungen irgendeines wichtigen Menschen angelegentlich einer Pressekonferenz gelauscht zu haben – dann brauche ich das entweder überhaupt nicht, oder ich bekomme es im Zweifelsfall auch anderswo, und zwar umsonst.

Viele Leute in den Medien haben noch nicht begriffen, dass der Bürgermeister heute keine Pressekonferenzen mehr braucht: Es gibt ja Twitter, Facebook und die eigene Homepage der Stadt. Als vor einiger Zeit die Berliner Hauptstadt-Journaille feststellen mußte, dass Regierungssprecher Seibert die Termine und Aussagen der Kanzlerin einfach direkt via Twitter ans Volk sandte (Seibert hat dort derzeit knapp 80.000 „Follower“), regte sich ein kurzer, aber völlig folgenloser Aufstand. Seibert twittert selbstverständlich weiter.

Alles in allem also: Die schöne Idee mit den Bezahlschranken wird nur dann funktionieren, wenn sich der Journalismus ändert. Und zwar so, wie es die neue Medienwelt gebietet: Weniger nachplappern von bereits Bekanntem, weniger Terminjournalismus, mehr Eigenrecherche, mehr eigene Themen, mehr Konzentration auf das wesentliche.

Das wird schwierig.

(Disclaimer: Ich bin bei einem regionalen Zeitungsverlag angestellt, dieser Beitrag gibt aber ausschließlich meine private Meinung wider.)

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